Die Einschläge der Finanzkrise kommen näher - was tun?

vom 25.07.2012, 11:47 Uhr

So langsam und sehr beängstigend zieht sich die Schlinge in Sachen Finanzkrise immer enger. Griechenland, Irland, Portugal und Zypern hängen am Tropf. Spanien und Italien geht es nicht viel besser. Staat und Banken haben insgesamt 5.3 Billionen Euro Schulden. Das ist das doppelte von deren Wirtschaftsleistung. Was die Refinanzierung angeht, muss ich heute lesen, dass Spanien inzwischen 7.6% und Italien 6.6% zahlen. Das ist langfristig unmöglich. Aber so wie der Verlauf der Zinsen aussieht, zeigt die Tendenz sogar noch nach oben. Ohne Hilfen wären beide Länder auf lange Sicht pleite, so einfach ist das. Nur, was die Hilfen angeht, haben EFSF und ESM keine ausreichenden Mittel für so eine Granate. So einfach ist auch das. Im EFSF sind noch ca. 140 Mrd. Euro der ESM wird bis 2014 auf 500 Mrd. Euro erhöht. Nur für Spanien und Italien zusammen, würde auch das nicht reichen.

Also muss mehr Geld her. Aber woher? Moody's hat ja jetzt 3 AAA-Ländern (von verbliebenen 4) deren Status gesenkt. Und man muss wohl sagen, das war berechtigt. Deutschland hängt mit seinem seltsamen Exportmodell extrem am (bröckelnden) Export in die Eurozone und die zu erwartenden finanziellen Belastungen sind riesig. So, wie es derzeit die neuesten Zahlen hergeben, haben wir momentan in der deutschen Privatwirtschaft den seit 2009 stärksten Wachstums- und Auftragsrückgang. Die Produktion ist entsprechend in vielen Bereichen auch schon kräftig eingebrochen.

Wir hängen mit 771 Mrd. Euro in der Haftung für andere. Wenn jetzt aber Länder, die gestützt werden müssen, ebenfalls aus dem ESM aussteigen (Spanien, Italien), was sie dann dürften (Griechenland, Portugal und Irland haben das bereits), hängen wir mit 850 Mrd. Euro drin. Sollten die aber komplett aus dem Euro aussteigen, dann sind da ja noch Hunderte von Milliarden Euro, die an Forderungen ggü. dem Ausland bestehen und dann würde Wahrheit, was viele (mich eingeschlossen) schon immer sagen: Was hilft der ganze Exportunsinn ("Exportweltmeister"), wenn das Ausland am Ende die Schulden nicht zurückzahlen kann. Für die ganzen schönen Schuldscheine können wir uns dann nicht mal mehr ein Brot kaufen.

Schlimm an alledem ist, dass es bisher genau so gekommen ist, wie gedacht. Diese ganze "Hilfe" der Katastroika macht die Lage immer schlimmer. Der "Durchschnittsbürger" ist kaum noch in der Lage sich ob all der Verwirrung eine eigene, stichhaltige Meinung zu bilden und ist deswegen natürlich auch offen für diverse Rattenfänger.

Was tun? Seid ihr eigentlich noch ruhig bei der ganzen Sache? Wie sieht Europa in 20 Jahren aus? Wenn es wirklich ernst wird um Italien und Spanien, dann wird auch Frankreich auf den Plan treten. Und damit wird dann auch an den Grundfesten Europas gewackelt. Die Franzosen werden sich von Deutschland aber nicht gängeln lassen, wie es z. B. die Griechen tun müssen. Eher wird man uns aus dem Euro drängen. Seht ihr da auch ganz dunkle Wolken am Horizont oder schaut ihr optimistischer in die Zukunft?

"Ich glaub', ich hab' ne Depri." Nein besser: "Ich glaub' ich krieg' die Krise." Ach nein, wir stecken ja längst drin in der Krise.

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» Richtlinie2 » Beiträge: 1872 » Talkpoints: -0,63 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



Tja, eigentlich bin ich eigentümlich ruhig, denn ich habe das zweifelhafte Glück, dass ich keine Reichtümer besitze und wer sowieso nichts hat, kann auch kaum etwas verlieren. Wenn man so wie ich keinen Luxus gewöhnt ist, fällt man auch nicht so hart, wenn der Luxus plötzlich weg bricht. Allerdings sind die Aussichten wie in Griechenland dann doch Besorgnis erregend, wenn man gehört hat, dass es da teilweise ums nackte Überlegen für die Leute ging. Sorgen machen sich vor allem die, die sich ordentlich was an Geld zusammen gespart haben und nicht wissen, was mit dem netten kleinen Vermögen geschieht, wenn der Euro plötzlich in eine starke Inflation rutscht. Gleichzeitig frustriert es mich aber enorm zu sehen, wie diese Wirtschaftssituation die Zukunft einer ganzen jungen Generation in Schutt und Asche legt, denn wie bitte soll man als Berufseinsteiger in so einer Situation auf einen grünen Zweig kommen? Ich vermute, es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis auch bei uns irgendwann die Proteste auf den Straßen los gehen.

Wenn ich mir die politische Lage ansehe, bin ich gar nicht ruhig. In mir regt sich ein gewaltiger Zorn auf dieses Wirtschaftssystem, das für die Profite einiger weniger ganz offensichtlich jegliche Moral verloren hat. Wie ich schon in einem anderen Thread um den Euro erwähnt habe, lese ich gerade von Hans-Olaf Henkel das Buch "Rettet unser Geld". Das Buch ist zwar schon von 2010, aber Henkel beschreibt da einiges mit erstaunlicher Klarsicht, was heute langsam den Massen dämmert und wofür er damals nach seiner Aussage noch diskreditiert wurde. Ich finde seine Argumentation schlüssig, dass es damals der Anfang vom Ende war, dass man plötzlich den Stabilitätspakt in der EU über Bord geworfen hat. Eigentlich gab es ja mal das Übereinkommen, dass auch die Gemeinschaft für einzelne EU Länder die in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten nicht aufkommen muss. Eigentlich wie gesagt. Als dann die Pleite und die gefälschten Zahlen von Griechenland dazu kamen, hatte niemand auf die Schnelle einen Plan B in der Schublade und vielleicht hat man damals zu hastig gehandelt und hätte Griechenland besser in die Insolvenz gehen lassen sollen anstatt alle Länder gemeinschaftlich wegen einen in die Krise zu reißen. Dieses Motto der Musketiere, dass alle für einen einstehen ist zugegeben romantisch. Aber wenn nicht jeder einzelne für die Gemeinschaft auf mit voller Kraft kämpft, und das war im Fall Griechenland möglicherweise so, dann muss so ein Solidaritätsmodell an die Wand fahren.

Das miese ist, und das sehe ich ähnlich wie Henkel ist ja, dass die Griechen da ja nicht mal alleine für die Misere schuldig zu sprechen sind. Da sind so viele Wenns und hätte und wäre die man auch beachten muss. Aber wie das Sprichwort - Wenn der Hund nicht geschissen hätte, hätte er den Hasen gefangen- schon sagt, kann man sich mit solchen Gedankenspielchen nichts kaufen. Die Schummeleien in der griechischen Wirtschaft sind vermutlich erst dann zum Problem geworden, als die Wirtschaftskrise, die eigentlich durch die Amerikaner ausgelöst wurde dazwischen gekommen ist. Und man mag es Ironie des Schicksals nennen, dass die Amerikaner da als wirtschaftliche Brandstifter da stehen, sich mit fiesen Tricks noch mal finanziell saniert haben und letztlich die Rechnung das dumme und gutmütige Europa zahlt. Währenddessen sitzen die Rating-Agenturen in ihren Elfenbeintürmchen und stufen europäische Länder genüsslich herunter, die ihre Landsmänner ruiniert haben. Ich könnte kotzen, wenn man sich die ganzen Zusammenhänge so vor Augen führt, entschuldigt bitte die Wortwahl.

Wenn das nun alles wäre. Das besonders perfinde, wie Europa in die Krise gerissen wurde ist ja, dass es auch hier ein paar besonders clevere Menschen gibt, die mit der Krise an der Börse durch unmoralische Geschäfte auch noch Milliarden an Profit machen. Da wird spekuliert, dass der Euro sinkt und Profit eingestrichen, da werden Kreditausfallsversicherungen überteuert verkauft, da wird auf die Pleite Griechenlands gewettet und ordentlich ab kassiert und wem das Geld dann fehlt, das sind die kleinen Leute, die diesen Finanzfilz nie völlig überblicken würden, die jeden Tag redlich zur Arbeit gehen und sich den Buckel krumm machen und trotzdem so wenig Geld nach Hause tragen, dass man sich nicht mal ein Eigenheim leisten kann, während die anderen wie die Maden im Speck nicht mehr wissen, wofür sie all ihr Geld ausgeben sollen.

Fragt sich, ob alles anders gekommen wäre, wenn man bei der letzten Wahl anders gewählt hätte. Man fragt sich auch, ob die Politik das überhaupt noch im Griff hat, oder ob die düsteren Stimmen, die sagen, dass wir längst schon von der Finanzwelt regiert werden recht haben. Wenn man die momentane Entwicklung so sieht, dann drängt sich diese Ansicht förmlich auf, weil mir keine tragbaren Gegenargumente mehr einfallen.

Alle Zeiten haben ihre Schattenseiten. Aber wenn ich versuche in die Zukunft zu sehen, wird mir schwindlig. Eine Pleite von Europa kann ich mir irgendwie noch nicht so recht vorstellen. Das Projekt mit der Völkerfreundschaft fand ich unheimlich wertvoll. Ich hoffe nur, dass die finanzielle Pleite nicht wieder ein Zeitalter der Zwietracht einläutet, sondern dass wenigstens in der Krise dann alle zusammen halten und sich dann erinnern, dass wir alle gemeinsam in einem Boot sitzen und dass nichts so sehr vereint wie ein gemeinsamer Feind.

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» trüffelsucher » Beiträge: 12446 » Talkpoints: 3,92 » Auszeichnung für 12000 Beiträge


Nur mal kurz zu deinem rausgeworfenen Geld für das Henkel Buch. Ich bin auf diesen Herrn schon hier kurz eingegangen. Oder wühle dich mal hier durch. Nicht leicht zu lesen, weil es z. T. nicht gerade flüssig aus dem Amerikanischen übersetzt wurde. Henkel war für mich schon immer unerträglich und ist niemand, über dessen Analysen man im Angesicht seiner verqueren Art die Welt zu erklären, diskutieren müsste. Allgemein gesprochen: Dass auch ein Depp zwischendurch mal was Wahres sagt, ist nicht zu verhindern.

Die Ursachen der Krise leitest du aus der simplen Welt des Herrn Henkel ab. Zugegeben, es hört sich auch alles so einfach an. Nur geht es völlig an den wirklichen Problemen vorbei. Bei allem, was ich bisher von Henkel gehört habe, fiel mir auf, dass er von ökonomischer Analyse und ökonomischen Zusammenhängen erschreckend wenig Ahnung hat (okay, er ist kein Wirtschaftswissenschaftler) oder offensichtliche Zusammenhänge einfach ignoriert.

Symptomatisch mal eine Diskussion, in der du in seinem Vortrag sicher auch Inhalte des Buches finden wirst, insofern interessant für dich. Höre dir aber auch die Vorträge der anderen und vor allem die Diskussion an. Schön ist, dass du hier auch gleich viele erläuternde Diagramme zu den Vorträgen sehen kannst (die PDF-Dokumente), also hören und gleich erläuternde Zahlen sehen kannst. Die Vorträge solltest du in der Reihenfolge Henkel, Flassbeck, Schulmeister, Horn, Diskussion hören. Zum Vortrag hier entlang. Ja, du brauchst 2 1/2 h Zeit, aber ich finde, das lohnt sich und du bekommst eine Gegenposition zu Henkel zu hören.

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» Richtlinie2 » Beiträge: 1872 » Talkpoints: -0,63 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



Im Moment mache ich mir da recht wenige Sorgen. Denn mein Freund, wie auch ich, arbeiten in Branchen, welche da recht krisensicher sind. Denn gegessen und Zeitung gelesen wird immer. Wobei ich eher in die Richtung tendiere, dass man insgesamt die europäische Gemeinschaftswährung wieder abschafft und jedes Land seine eigene Währung wieder einführt.

Wobei man aber auch bedenken muss, dass Deutschland ja nicht nur innerhalb der Euroländer exportiert. Also werden wir wohl nicht komplett den Bach runter gehen, wenn wir die genannten Länder weniger bis gar nichts mehr exportieren. Allerdings muss man auch wieder dabei sehen, dass diese Länder auch auf gewisse Waren aus Deutschland angewiesen sind. Sie können also auch nicht einfach diese Beziehungen komplett abbrechen.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge



Punktedieb hat geschrieben:Im Moment mache ich mir da recht wenige Sorgen. Denn mein Freund, wie auch ich, arbeiten in Branchen, welche da recht krisensicher sind. Denn gegessen und Zeitung gelesen wird immer.

Bei den Zeitungen würde ich persönlich mich nicht gerade sicher fühlen, aber was Nahrungsmittel angeht, ist das tatsächlich ein recht krisensicherer Bereich.

Punktedieb hat geschrieben:Wobei ich eher in die Richtung tendiere, dass man insgesamt die europäische Gemeinschaftswährung wieder abschafft und jedes Land seine eigene Währung wieder einführt.

Das wäre der Super-GAU, weil Europa dann seine ohnehin schwächelnde Machtstellung auf der Welt komplett verlieren würde. Vor allem wäre das an sich gute Konzept des Friedens in Europa durch die enge politische Zusammenarbeit und die wirtschaftliche Verflechtung ebenfalls zerschlagen. Es würden alte Gräben wieder aufgerissen, gerade auch weil man ja in ganz Europa weiß, dass es gerade die deutsche Vormachtstellung und Hegemonialpolitik ist, die eine der Hauptursachen für den Zerfall Europas wäre. Dieses Spiel hat Deutschland schon zwei mal getrieben und es endete jeweils grausam.

Punktedieb hat geschrieben:Wobei man aber auch bedenken muss, dass Deutschland ja nicht nur innerhalb der Euroländer exportiert. Also werden wir wohl nicht komplett den Bach runter gehen, wenn wir die genannten Länder weniger bis gar nichts mehr exportieren.

Das nenne ich aber optimistisch. Unser einseitiges, exportorientiertes Wirtschaftsmodell ist schon einmalig. Im 1. Quartal haben wir ca. 335 Mrd. Euro exportiert. Man staunt, denn das ist ein Allzeithoch. Statt also die wirtschaftlichen Ungleichgewichte abzubauen (v. a. in der Eurozone), verschlimmern wir die Sache weiter. Unser gesamtes Exportvolumen liegt bei fast 52% des nominalen BIP! Auch das ist ein neuer "Rekord". China liegt da nur bei 26%. Die Überschüsse, die wir da erwirtschaften, sind vor allem seit bestehen der Währungsunion aufgelaufen.

Du sagst, wir exportieren ja nicht nur innerhalb der Euroländer. 2009 waren es in die EU etwa 62% in die Euro-Länder ca. 43%. Ggü. Portugal, Italien, Griechenland und Spanien sind in der Zeit der Währungsunion inzwischen (bis Q4 2011)über 450 Mrd. Euro an Leistungsbilanzüberschüssen aufgelaufen. Wir Deutsche, die ohnehin schon so wettbewerbsfähig sind, profitieren nun noch davon, dass der Außenwert des Euros schwächelt. Damit wird das Feuer des Exports aber noch geschürt. Das Problem, wir nageln unsere Währungspartner dadurch sozusagen an die Wand, wobei wir uns im gemeinsamen Währungsraum eigentlich in Sachen Wettbewerbsfähigkeit dringend nähern müssten, um den Währungsraum nicht noch mehr zu gefährden. Aufgrund unserer Stärke (erzwungen durch jahrelange unfaire Lohnzurückhaltung und Unterlaufen des Inflationsziels der EZB) können die aber nicht zu den Preisen anbieten wie wir, also kauft die Welt bei uns. D. h. der Abstand zwischen uns wird immer größer statt kleiner. Da können die so viel sparen, wie die wollen. Mit einem Währungspartner Deutschland haben die keine Chance. Zwar haben wir nur ein relativ vergleichsweise überschaubares Exportvolumen in die GIPS-Länder, da aber alle Länder in der EU wirtschaftlich eng miteinander verbunden sind, wird unser Export auch in diese Länder einbrechen. Und das in unserem auf Export gebauten Wirtschaftsmodell.

Die Menschen hier begreifen es noch nicht. Sie begreifen nicht, dass ungleiche Partner nicht in eine Währungsunion gehören, sie begreifen nicht, dass ein einseitiges Exportmodell (nicht nur) in einer Währungsunion, zudem ungleicher Partner, Selbstmord ist, sie begreifen nicht, dass "Exportweltmeister" kein Titel, sondern eine Gefahr darstellt, sie begreifen nicht, warum auch das Unterlaufen eines in einer Währungsunion vereinbarten Inflationsziels ähnlich dramatisch ist, wie eine zu hohe Inflation, sie begreifen nicht, dass eine Volkswirtschaft nicht so funktioniert, wie das Modell der schwäbischen Hausfrau, das Sparen in einem Staat also nicht immer sinnvoll ist und man damit genau das Gegenteil erreicht.

Aber der Wahnsinn nimmt seinen Lauf. Es wird weiter exportiert, als gäbe es kein Morgen, die Ungleichgewichte werden damit weiter befeuert und damit wachsen natürlich auch weiter uneinbringbare Forderungen ggü. den anderen Ländern auf. Im Prinzip verschenken wir seit Jahren einen großen Teil unserer Exporte und die Schulden, die sich dadurch in den anderen Ländern aufgebaut haben, führen nun dazu, dass das System kollabieren wird. Das ist in meinen Augen Irrsinn.

Punktedieb hat geschrieben: Allerdings muss man auch wieder dabei sehen, dass diese Länder auch auf gewisse Waren aus Deutschland angewiesen sind. Sie können also auch nicht einfach diese Beziehungen komplett abbrechen.

Angewiesen hin oder her. Viele Firmen liefern nicht mehr in diese Länder, weil sie merken und wissen, dass ihre Forderungen uneinbringbar sind. Die Griechen haben inzwischen Probleme, Medikamente zu bekommen. Pharmafirmen weigern sich, den öffentlichen Gesundheitssektor zu beliefern. Jetzt fordert man, dass in diesem System noch mal 40% gespart werden. D. h. nur wer noch bar zahlen kann, wird dort Medizin und ärztliche Hilfe bekommen. Inzwischen geht es dort aufgrund der Krise für viele Patienten tatsächlich um Leben und Tod, weil sie sich die Medizin selber nicht mehr leisten können und das solidarische Gesundheitssystem zusammengebrochen ist.

Wer soll denn all unsere schönen Autos kaufen? Die Krise kommt ja aktuell in diesem Bereich langsam an. Ca. (geschätzt) 20% unserer Exporte dürften Autos und Autoteile sein. Überlege mal, wie viele Menschen bei uns davon leben. Bald können wir damit vor den Werkstoren im Kreis herumfahren, weil sich das Ausland die nicht mehr leisten kann. So einfach ist das. Klar, man zählt auch auf die Schwellenländer und den außereuropäischen Export, aber die Krise herrscht ja längst weltweit.

Es gibt viele Lösungswege, aber bisher ist man von einer sinnvollen Lösung noch weit weg. Alles, was ich bisher sehe, trug nur dazu bei, die Gräben und die Schulden zu vergrößern, statt zu verkleinern. All die Sparmodelle, haben überhaupt nichts gespart, die Schulden und das Elend sind in fast allen Fällen größer geworden. Im Moment gehen wir den entgegengesetzten Weg, mal sehen, was die EZB noch auf Lager hat. Ich sympathisiere mit der Idee eines Schuldentilgungsfonds, mit einer Form von Eurobonds, um die zu hohen Zinsen in den Griff zu kriegen, mit Lohnerhöhungen über Jahre in Deutschland (um vom Exportmodell weg zu kommen und die Binnenkonjunktur zu stärken), mit Lohnsenkungen in den Defizitländern und mit einem Stopp des irrsinnigen Sparkurses, der zu allem führt, aber nicht zum Sparen.

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» Richtlinie2 » Beiträge: 1872 » Talkpoints: -0,63 » Auszeichnung für 1000 Beiträge


Allein mit Lohnerhöhungen bekommst du die Binnenkonjuktur auch nicht besser zum Laufen. Wenn wir mal beim Thema Auto bleiben. Warum stagnieren denn die Neuwagenverkäufe wieder in diesem Land? Weil die Leute sich diese Ausgaben schlichtweg nicht leisten können. Auch dann nicht, wenn sie mehr Geld in der Tasche hätten. Da würde man halt nicht zehn Jahre auf ein neues Auto sparen, sondern nur acht Jahre. Was aktuell der Autoindustrie wenig nützen würde.

Allerdings bekommt man ja das selbe Auto im benachbarten Ausland einige tausend Euro billiger. Wenn ich also als Käufer vor der Wahl stehe, dann versuche ich natürlich zu sparen, indem ich mein Auto eben in Tschechien kaufe, weil ich dort wesentlich weniger bezahle. Damit verdient zwar hier der Hersteller, aber das Autohaus, welches sonst noch einen Gewinn beim Verkauf hat, bekommt schon mal nichts.

Erhöht man nun die Löhne, werden die Preise auch steigen. Allerdings bedeuten auch Lohnerhöhungen im großen Stil wieder einen Anstieg der Arbeitslosenzahlen. Ergo sollte man doch eher in die andere Richtung handeln und noch mehr Menschen wieder in Arbeit bringen. Erstens ist es auch gut für die Binnenkonjuktur, da es doch ein Unterschied macht, ob man von Hartz IV lebt oder einen vollen Lohn nach Hause bringt. Zweitens bringt es Steuern in die Staatskasse und auch die Sozialversicherungskassen haben mehr Einnahmen, was am Ende auch mehr Nettolohn bedeuten kann, wenn die Beiträge gesenkt würden.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge


Punktedieb hat geschrieben:Allein mit Lohnerhöhungen bekommst du die Binnenkonjunktur auch nicht besser zum Laufen.

Wie denn? Wenn du die Wettbewerbsfähigkeit in der Eurozone angleichen willst - was absolut notwendig ist, wenn sie funktionieren soll - was willst du dann aber machen? Die anderen Länder haben über 10 Jahre Lohnvorsprung vor uns, bei uns haben die Löhne stagniert und entsprechend auch der Konsum, entsprechend die Binnenkonjunktur. Die lahmt und das seit 10 Jahren, auch wenn uns das ZDF ständig was aus dem Konsummärchenland erzählen. Die Zahlen sagen das Gegenteil. Das hat es in keinem anderen Land der EU so gegeben. Wir haben das Inflationziel der EZB heftig unterlaufen und sind auch noch stolz drauf, ohne zu kapieren, dass das genauso blöd ist, wie der umgekehrte Fall. So funktioniert keine Währungsunion. Sie funktioniert nicht durch gezielten Unterbietungswettbewerb der Währungspartner. Das führt alles nur zu riesigen Leistungsbilanzdefiziten auf der einen und -überschüssen auf der anderen Seite, mit der Folge, dass wir am Ende unsere Exporte verschenken, weil man am Ende einem nackten Mann nicht in die Tasche greifen kann.

Die geringe Inflation bei uns hängt natürlich auch mit der geringen Nachfrage bei uns zusammen, die direkt mit den niedrigen Löhnen zusammenhängt. Die hat man durch Druck auf den Sozialstaat (Agenda 2010) und Schwächung der Gewerkschaften und eine passende Propaganda erreicht. Man hatte sich erhofft, man stopft die Unternehmen voller Geld, dann würden die schon investieren und Jobs schaffen. Das ist die Theorie der Angebotsökonomen. Das hat natürlich nicht geklappt, weil Jobs nur da entstehen, wo Nachfrage ist und da man gleichzeitig die Finanzmärkte von allen Beschränkungen befreit hat, haben viele Unternehmen ihr Geld lieber dort investiert. Die anderen Länder müssen mit den Löhnen langsam runter und wir müssen über viele Jahre rauf. Wir müssen mehr im Inland kaufen und auch mehr importieren, wenn wir weiter exportieren wollen. Natürlich bedeuten höhere Löhne langfristig auch einen höheren Konsum im Inland, das steht außer Frage. Kurzfristig können Konsumentscheidungen natürlich auch verschoben werden, z. B. durch Angstsparen in der Krise, die Gefahr besteht sehr konkret.

Wenn du dir jetzt die Autoindustrie als Beispiel für den Binnenmarkt rauspickst, ist das nicht ganz ideal. Nur etwa 1/4 der produzierten Fahrzeuge gehen ins Inland. Dieser Bereich ist also viel mehr vom Ausland, als vom Inland abhängig. Andererseits sieht man ja, wie man über die Abwrackprämie sehr wohl kurzfristig die Absatzzahlen im Inland erhöhen kann. Und die Abwrackprämie war so gesehen nichts weiter als eine Lohnerhöhung.

Punktedieb hat geschrieben:Erhöht man nun die Löhne, werden die Preise auch steigen.

Und? Wo ist das Problem? Preise können immer nur so steigen, wie es das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage nach Gütern zulassen. Deine Lohnerhöhung wird nicht zwangsweise komplett aufgefressen. Mit dem Argument schlägst du ja geradezu jede Lohnerhöhung tot und erklärst sie für Unsinn. Höhere Löhne (in der Masse) heißen immer höhere Nachfrage und höhere Nachfrage bedeutet mehr Jobs. Dann bist du bei deinem "Menschen in Arbeit bringen". Das ist ja auch richtig und der tiefere Sinn der Sache.

Dass wir daneben eine viel heftigere Besteuerung höherer Einkommen, eine Besteuerung von Finanzeinkommen orientiert am persönlichen Einkommensteuersatz, eine Reform der Vermögens- und Erbschaftssteuer u. s. w. benötigen, kommt noch dazu, aber die Chancen dafür sehe ich ebenfalls bei Nahe Null. Deswegen ist das ja alles so frustrierend.

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» Richtlinie2 » Beiträge: 1872 » Talkpoints: -0,63 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



Lohnerhöhungen bedeuten aber auch immer Entlassungen, auch wenn das keiner wirklich wahrhaben will. Dazu wird es oftmals auch geschickt verpackt, so dass man nicht unbedingt einen Zusammenhang gleich erkennen kann. Ist aber so und damit steigt nicht unbedingt die Nachfrage. Zwar hat ein Teil der Arbeitnehmerschaft mehr Geld in der Tasche. Aber gleichzeitig wird es bei einem anderen Teil weniger, weil die nämlich zur Agentur für Arbeit gehen dürfen.

Was folgt daraus? Die Leute, die ihren Job behalten haben, werden das Geld nicht unbedingt in die Geschäfte bringen, wenn sie mitbekommen, dass nach der Lohnerhöhung diverse Kollegen gekündigt wurden. Denn sie könnten ja dann die Nächsten sein, welche ihren Job verlieren. Also ist die erhöhte Nachfrage nur von kurzer Dauer und bringt auf lange Sicht so gut wie nichts.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge


Punktedieb hat geschrieben:Lohnerhöhungen bedeuten aber auch immer Entlassungen, auch wenn das keiner wirklich wahrhaben will.

Das ist nun wirklich absurd. Wenn ein Unternehmen Gewinn macht und Geld zu verteilen hat und damit deinen Lohn erhöht, warum soll dann jemand entlassen werden?

Wenn du einen Lohnabschluss unterhalb des sog. verteilungsneutralen Spielraumes hast (= Produktivitäts- plus Inflationsrate), dann heißt das nichts weiter, als dass du die Gewinneinkommensbezieher zulasten der Arbeitnehmerentgelte bereicherst. Diese Situation haben wir seit Jahren. Der Arbeitnehmer produziert sozusagen in einem Jahr in der gleichen Zeit mehr als im Jahr zuvor, aber man gibt ihm diesen Anteil nicht. Würde man diesen Spielraum 1:1 umsetzten, blieben ja die Verteilungsverhältnisse zwischen der Arbeit und dem Kapital gleich. Wo ist denn da dann ein Grund, jemanden zu entlassen? Wie es jetzt läuft, eignet sich der Unternehmer seit Jahren diesen Produktivitätsfortschritt an und der Arbeitnehmer kann sich am Endes das Auto nicht mehr leisten, dass er produziert. Resultat dieser Entwicklung ist die sinkende Lohnquote.

Diesen Pfad, mit dem wir lange gut gelebt haben, hat man seit einiger Zeit verlassen und das Ergebnis bewundern wir gerade. Weil man sich damals bewusst war, dass man damit natürlich die Kaufkraft und die Nachfrage verringert aber irgendjemand unsere Produkte ja dann trotzdem kaufen muss, bleibt da nur das Ausland, mithin der Export. Mit allen damit verbundenen Risiken, die uns gerade überrollen. Inzwischen ist der deutsche Exportüberschuss so groß geworden, dass die Länder mit den entsprechenden Defiziten nicht mehr zahlen können. Das war aber alles leider zu erwarten.

Du betrachtest die Angelegenheit vermutlich ausschließlich von Kostenseite. Für dich sind Löhne in erster Linie Kosten. Für mich sind Löhne in erster Linie Nachfrage. Du vergisst dabei allerdings, dass du damit sozusagen den Ast absägst, auf dem du sitzt. Schau dir mal die Entwicklung von Lohn- und Gewinneinkommen an. Hier siehst du die unglaubliche Umverteilung von den Arbeits- zu den Gewinneinkommen. Es ist so viel Geld da, nur ist es inzwischen vermehrt in den Händen derer, die ohnehin eine hohe Sparquote haben und wird deswegen dem Konsumkreislauf auch entzogen. Das ist dann der nächste Schuss ins Knie.

Punktedieb hat geschrieben:Dazu wird es oftmals auch geschickt verpackt, so dass man nicht unbedingt einen Zusammenhang gleich erkennen kann. Ist aber so
[...]

"Ist aber so", halte ich für ein recht schwaches Argument.

Wenn eine Volkswirtschaft immer mehr erwirtschaftet, dann kann man dieses "Mehr" eben auch verteilen. Warum soll man da jemanden entlassen? Ich vermag keine gesamtwirtschaftliche Erklärung zu erkennen, die deine These stützt.

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» Richtlinie2 » Beiträge: 1872 » Talkpoints: -0,63 » Auszeichnung für 1000 Beiträge


@Richtlinie2: Schön, wenn du dich nur auf Teilsätze beziehst, wo doch noch mehr dastand. Oder kannst du die restliche Aussage nicht mehr widerlegen? Fakt ist jedenfalls, das es Entlassungen gibt, wo über Gewerkschaften Lohnerhöhungen durchgedrückt werden, wo man sich nur noch wundert. Dazu gibt es große Unternehmen, welche das dann wieder geschickt umgehen.

Da werden dann nämlich Verträge angeboten, wo man zumindest auf einen Teil dieser Lohnerhöhung verzichtet, aber dann für den Zeitraum X nicht betriebsbedingt gekündigt werden kann. Was ist aber das Ergebnis davon? Der Arbeitnehmer sichert sich lieber seinen Arbeitsplatz und hat nur unwesentlich mehr Geld in der Tasche. Also kann die Nachfrage auf dem Binnenmarkt nicht steigen.

Im Gegenteil, die Nachfrage wird in einigen Bereichen eher sinken, weil eine Lohnerhöhung auch einen Preisanstieg der eigenen Produkte nachzieht. Bestes Beispiel dafür ist die Deutsche Bahn AG, wo man jetzt erst wieder eine Lohnerhöhung durchgedrückt hat. Bester Zeitpunkt, da man Streiks in der Ferienzeit vermeiden wollte. Allerdings kann man eben auch dabei beobachten, in welchen Bereichen regelmäßig Stellen abgebaut werden.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge


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