Wenn die Wirtschaft und der Euro nun doch kollabieren?

vom 09.11.2011, 21:02 Uhr

Eigentlich mag ich gar nicht so recht darüber nachdenken, was die nächsten Jahre bringen werden. Aber als Mutter fällt es mir schon schwer, diese Fragen total zu verdrängen, denn ich überlege manchmal eben auch, was meine Kinder so erwarten wird, wenn sie erwachsen sind.

In letzter Zeit löst eine Turbulenz in der Weltpolitik die nächste ab und die Wirtschaft kommt mir so instabil vor wie schon lange nicht mehr oder wie vielleicht noch nie. Wie hat sich das Klima doch in den letzten Jahren drastisch geändert. Und ich gestehe, dass ich mir die Zeit der 90er irgendwie zurück wünsche. Diese Aufbruchstimmung und das Gefühl, dass alles machbar ist, war so viel angenehmer als die ständige Angst vor der nächsten Krise oder Hiobsbotschaft.

Ich versuche mir solche Dinge als Szenario vorzustellen und momentan überlege ich, was bei einem worst-case-szenario heraus kommen könnte. Ich will gar nicht darüber spekulieren, wie wahrscheinlich das alles ist. Es handelt sich hier um ein reines Gedankenspiel. Wenn ich mir das schlimmste mögliche vorstelle, dann nimmt das für mich etwas den Schrecken.

Nehmen wir mal an, die europäischen Politiker schaffen es nicht, den Euro zu stabilisieren. Was passiert dann? Nach der letzten Wirtschaftskrise sind die meisten Staaten doch so angeschlagen, dass das keiner so unbeschadet aufnimmt. Nehmen wir einfach mal an, dass der Euro zusammenbricht und nach und nach einen Strudel auslöst, der um sich greift. Was wäre dann?

Momentan sind ja eh so viele Staaten hoch verschuldet. Es wäre vielleicht gar keine so eine schlechte Idee, wenn man sich dann einigen könnte, dass man wirtschaftlich einen reinen Tisch macht und alle Staaten nach so einem hypothetischen Zusammenbruch noch mal neu anfangen. Wie meint ihr würde das weiter gehen? Würden die Kräfte alles wieder so aufbauen wie bisher? Würde mehr Gerechtigkeit in die Welt kommen können, indem Entwicklungsländer eine bessere Startposition bekommen könnten und so eine Krise nachträglich zur Chance werden? Oder wäre das eine einmalige Gelegenheit für die Welt ein Experiment mit einem globalen Sozialismus demokratischer Prägung zu starten? Oder würde uns das alle in einen Zustand wie vor der Industrialisierung zurück befördern, in dem wir von der Hand in den Mund leben müssen? Würden sich plötzlich die Machtverhältnisse verschieben und Länder wie China oder die Öl exportierenden Länder auf die Machtpositionen rutschen? Wie stellt ihr euch das Leben nach so einer globalen Krise vor?

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» trüffelsucher » Beiträge: 12446 » Talkpoints: 3,92 » Auszeichnung für 12000 Beiträge



trüffelsucher hat geschrieben:Momentan sind ja eh so viele Staaten hoch verschuldet. Es wäre vielleicht gar keine so eine schlechte Idee, wenn man sich dann einigen könnte, dass man wirtschaftlich einen reinen Tisch macht und alle Staaten nach so einem hypothetischen Zusammenbruch noch mal neu anfangen. Wie meint ihr würde das weiter gehen?


Ganz einfach, das würde so gar nicht gehen. Nur mal angenommen, der Euro würde zusammenbrechen und nicht mehr existieren, dann gibt es eine neue Währung. Ob das dann wieder eine gemeinsame europäische Währung wäre, oder ob es wieder so sein würde, dass jedes Land eine eigene Währung erhält wäre eine ganz andere Frage. Allerdings ist das bei deiner Fragestellung auch völlig zweitrangig. Denn auch wenn eine neue Währung aufgebaut werden müsste, die derzeit vorhandenen Schulden der Länder würden nicht verschwinden. Die Schulden der entsprechenden Staaten würden einfach nur in die neue Währung umgerechnet werden und müssten genauso getilgt werden, wie heute auch. Die einzige Chance die Schulden einfach so los zu werden wäre ein Schuldenerlass, den die Banken oder Gläubigerländer gewähren könnten, aber das glaubst du doch selbst nicht, dass das jemand freiwillig machen würde.

Ein Neuanfang kann nicht gut funktionieren, solange keine Grundlegenden Änderungen im Verständnis der Menschen Weltweit vorgenommen werden, vor allem im Verständnis der "Mächtigen". Allerdings kann man jeden verstehen, der versucht seine Schäfchen ins trockene zu bringen, da man immer zuerst an sich selbst denkt, auch wenn man ein gewählter Vertreter der Menschen eines Landes ist.

Das mehr Gerechtigkeit in die Welt kommen würde, das ist wohl eher Wunschdenken. Es wird immer Menschen geben, die andere ausbeuten und es wird immer Menschen geben, die sich von anderen Menschen ausbeuten lassen. Gerechtigkeit liegt immer im Auge des Machthabers.

Globaler Sozialismus mit Demokratischer Prägung das klingt nach einem Elefanten, der Mozarts Werke auf einem Liliputanerklavier spielen soll. Der Sozialismus war in der Grundidee der Versuch Utopia auf Erden zu erschaffen. Utopia ist nicht möglich und der Sozialismus ist die staatlich legitimierte Ausbeutung der Bevölkerung. (Kapitalismus ist die wirtschaftlich legitimierte Ausbeutung der Berufstätigen). Danke den Sozialismus gab es in der DDR schon mal und er hat hier nicht funktioniert. Demokratie ist eigentlich auch nur Augenwischerei. Wahre Demokratie, sprich die Mitbestimmung des einzelnen in allen Bereichen der Politik gibt es nicht. Am Ende werden Menschen gewählt, die das Wohl anderer Menschen herbeiführen sollen. Das wird niemals wirklich funktionieren.

Wieso sollten sich Machtverhältnisse verschieben? Die wirkliche Macht liegt doch schon bei den Erdölländern und China. Wenn die Erdölexportierenden Länder den Ölhahn zu drehen, dann dreht sich im Rest der Welt kein Rad mehr. Die haben doch jetzt schon die Macht inne. Die Weltpolizei USA spielt diese Rolle nur, weil zum Beispiel die Länder der OPEC dieses dulden. Die Wirtschaftsmacht des 21. Jahrhunderts ist China. China hat finanzielle Reserven, mit denen kein anderes Land mithalten kann. 3,5 Billionen Euro (umgerechnet) haben die in Devisen und Gold auf der hohen Kante liegen. Davon träumt die USA oder Europa nur. Die wahre wirtschaftliche Macht liegt also schon in diesen Händen.

So schön ein Neuanfang auch klingen mag, es würde sich im großen und ganzen nichts verändern. Es wären nur andere Namen für die gleichen Situationen und es würde sich alles auf die eine oder andere Weise wiederholen. Gleicher Spaß in neuem Gewand.

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» martin22 » Beiträge: 231 » Talkpoints: 0,58 » Auszeichnung für 100 Beiträge


Als Wissenschaftler frage ich mich gerade, ob es in der Wirtschaft auch einen Erhaltungssatz des Geldes gibt. Ich meine, im Universum kann die Masse und Energie sich nicht ändern. Manchmal habe ich aber das Gefühl, dass die weltweite Finanzkraft nicht konstant ist (vielleicht bekommt man aber auch nicht genau mit, bei welchen Einzelpersonen sich die Staats-, Konzern- und Privatschulden anhäufen). Das wäre auf Dauer in jedem Fall fatal.

» artifex » Beiträge: 5 » Talkpoints: 1,15 »



Ich glaube, so einen Erhaltungssatz kann es gar nicht geben. Energie ist eben vorhanden und die vorhandene Menge ist genau messbar. Während man zwar im mündlichen Sprachgebrauch durchaus von Energieerzeugung spricht, wenn man über Kraftwerke redet ist eine Erzeugung von Energie nicht möglich. Das unterscheidet die Energie vom Geld. Geld kann ich, rein theoretisch nach belieben drucken oder Münzen prägen. Seit die Münzen nicht mehr aus Gold bestehen, ist der Wert des Geldes mehr oder weniger verhandelbar. Rein vom Materialwert ist ja ein zwei Euro Stück weit wertvoller als ein einhundert Euro Schein.

An der Börse sagt man immer, kann man ganz einfach einhundert Prozent Verlust machen. Klar fließt das Geld, das der eine verliert zumindest teilweise in die Taschen von anderen. Das würde zumindest bedeuten, dass es Menschen gibt, die von Verlusten reichlich profitieren. Wenn die Logik stimmt, dann müssten zurzeit in der Krise reichlich Leute sehr reich werden. Entweder halten diese wohlweislich den Mund, oder an der Theorie, dass das Geld oder die Kaufkraft immer weiter kursiert, ist ein Fehler.

Spannend finde ich es vor diesen Überlegungen auch, dass de Facto auf der Erde viel Kapital in Form von Gegenständen vorhanden sind, aber im Gegenzug sehr viel Schulden und überall über Sparzwang und Geldmangel gejammert wird. Da fragt man sich schon, ob man das jetzt wirklich messbar ist oder nur eine Frage der Definition, dass bei so vielen Ländern zu wenig Geld vorhanden ist. Rein theoretisch müsste es ja dann auch Länder oder Stellen geben, wo zu viel Geld vorhanden ist. Denn rein wissenschaftlich müsste das Geld irgendwie nach der Gaußschen Glockenkurve verteilt sein. An den meisten Stellen durchschnittlich viel, an weniger Stellen besonders viel und besonders wenig Geld. Wenn aber der Großteil der Länder zu wenig Geld hat, dann muss das Geld woanders stecken. Wenn diese Personen oder Länder das Geld einfach nahezu komplett für sich behalten, dann könnte diese Macht die ganze Erde zum Stillstand bringen. Irgendwie ist das eine ganz schön befremdliche Vorstellung. An der Stelle kommt dann wieder die Frage ins Spiel, was mit dieser geballten Geldmacht aus dieser Erde gemacht werden könnte.

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» trüffelsucher » Beiträge: 12446 » Talkpoints: 3,92 » Auszeichnung für 12000 Beiträge



artifex hat geschrieben:Als Wissenschaftler frage ich mich gerade, ob es in der Wirtschaft auch einen Erhaltungssatz des Geldes gibt. Ich meine, im Universum kann die Masse und Energie sich nicht ändern. [...]

Im Grunde ist das ganz einfach. Wenn man den Versuch starten würde, die Schulden dieser Welt zurückzuzahlen, dann wäre am Ende alles Geld dieser Welt wieder verschwunden. Geld entsteht durch Schuld, aber es verschwindet auch wieder durch Tilgung. Allerdings würde sich dann auch wirtschaftlich nichts auf dieser Welt bewegen, wir hätten dann wohl wieder eine Tauschwirtschaft.

trüffelsucher hat geschrieben:Geld kann ich, rein theoretisch nach belieben drucken oder Münzen prägen.

Das sagt man so dahin. Ich weise nur mal eben ausdrücklich darauf hin, dass die Menge des "physisch vorhandenen Geldes" (oder dem, was wir darunter landläufig verstehen), verschwindend gering ist.

trüffelsucher hat geschrieben:[...]Wenn die Logik stimmt, dann müssten zurzeit in der Krise reichlich Leute sehr reich werden. Entweder halten diese wohlweislich den Mund, oder an der Theorie, dass das Geld oder die Kaufkraft immer weiter kursiert, ist ein Fehler.

An der Börse kann man Geld durch Rauf und Runter verdienen. Bei jedem Geschäft zahlt einer und ein anderer kassiert. Na in der Tat verdienen da einige wenige unglaubliches Geld. Das sind die Investmentbanken, die Hedgefonds und deren Kunden.

trüffelsucher hat geschrieben:[...]Spannend finde ich es vor diesen Überlegungen auch, dass de Facto auf der Erde viel Kapital in Form von Gegenständen vorhanden sind, aber im Gegenzug sehr viel Schulden und überall über Sparzwang und Geldmangel gejammert wird. Da fragt man sich schon, ob man das jetzt wirklich messbar ist oder nur eine Frage der Definition, dass bei so vielen Ländern zu wenig Geld vorhanden ist.

Wenn es jetzt hier um Staaten geht, dann besteht deren Problem darin, dass es mit der Entwicklung des Neoliberalismus einen Tendenz dahin gegeben hat, dass der Staat nur noch eine Art Nachtwächterfunktion übernehmen soll und die Märkte den Rest von selbst regeln. Steuern und Abgaben wurden für Teufelszeug gehalten und entsprechend wurden dem Staat mehr und mehr seine Einnahmen streitig gemacht.

trüffelsucher hat geschrieben:[...]Rein theoretisch müsste es ja dann auch Länder oder Stellen geben, wo zu viel Geld vorhanden ist. Denn rein wissenschaftlich müsste das Geld irgendwie nach der Gaußschen Glockenkurve verteilt sein. An den meisten Stellen durchschnittlich viel, an weniger Stellen besonders viel und besonders wenig Geld.

Also da geht einiges verquer. Wenn wir mal das Beispiel Deutschlands nehmen, dann ist ja immer gerne davon die Rede, wie viel Schulden wir doch hätten. Dabei wird natürlich immer vernachlässigt, wie viel Vermögen vorhanden ist. Warum wohl? Frag mal den Steuerzahlerbund? Einen guten Eindruck von der Situation gibt dir eine Gegenüberstellung von Schuldenuhr und Vermögensuhr. Schau mal hier. Hier fehlt aber übrigens noch die Verschuldung der privaten Seite. Die lag 2007 bei ca. 1.4 Bio. €. Aber wie man sieht, ist genug Vermögen vorhanden, um die Schulden Deutschlands zu bezahlen - theoretisch. Und: Das Vermögen wächst schneller, als die Schulden.

Nun sprichst du die Verteilung des (Netto)Vermögens an. Das reichste Zehntel der Bevölkerung verfügte 2007 über ca. 61% des Nettovermögens. Die obersten 5% halten fast die Hälfte des Vermögens und das oberste 1% noch 23%. 27% der erwachsenen Bevölkerung hat 0 Vermögen oder sogar Schulden, also mehr als jeder 4. hat Nichts oder Schulden. Die Konzentration im oberen Zehntel hat in den letzten Jahren enorm zugenommen.

Bei den Einkommen sieht es ähnlich böse aus. Da scheffeln die oberen 0.1% fast 60% der Einkommen zusammen. Für die 99.9% bleiben ca. 40%. Wobei die unteren 50% nur über ca. 9% der Einkommen verfügen (Stichworte: Gini-Koeffizient, Lorenz-Kurve)

Daher ja auch die Occupy-Bewegung. "We are the 99 percent" zeigt eigentlich die Problematik. Wir haben eine zunehmende Ballung von Kapital und Macht bei einem sehr kleinen Teil der Menschheit, mit all den Folgen, die wir gerade erleben.

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» Richtlinie2 » Beiträge: 1872 » Talkpoints: -0,63 » Auszeichnung für 1000 Beiträge


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