Kann man falsch trauern und wenn ja, wie sollte man trauern?

vom 02.05.2021, 19:48 Uhr

Ich neige dazu wirklich schlecht mit Trauer umgehen zu können. Ich kann generell schlecht vor anderen Menschen weinen und wenn ich dann in so eine Trauersituation komme, dann hatte ich lange Probleme damit richtig umzugehen. Mittlerweile kann ich da gut mit meinem Mann darüber reden, aber weinen fällt mir immer noch schwer und ich bin auch generell niemand, der tagelang das Bedürfnis hat zu weinen. Bisher habe ich aber auch nur alte Menschen erlebt, die verstorben sind und keine jungen Menschen. Spielt das eurer Meinung nach eine Rolle?

Mein Mann ist da anders, er redet, weint viel und dann geht es ihm auch besser. Ich finde seine Art damit umzugehen viel besser und denke, dass das Weinen auch eher den gesellschaftlichen Handlungsweisen entspricht, somit also der Norm entspricht. Ich kann das aber nicht wirklich vor anderen Menschen. Wie trauert man eurer Meinung nach richtig und wie macht ihr das?

Benutzeravatar

» Ramones » Beiträge: 47746 » Talkpoints: 6,02 » Auszeichnung für 47000 Beiträge



Ich denke eher nicht, dass es bei uns der gesellschaftlichen Norm entspricht, vor anderen zu weinen. Die meisten Menschen werden sich das eher verkneifen, bis sie alleine sind. Zudem muss man nicht unbedingt weinen oder mit anderen reden. Viele weinen halt automatisch, wenn sie traurig sind, insofern sie sich das nicht bewusst verkneifen, aber wenn man nicht der Typ Mensch ist, dem dann die Tränen kommen oder der über das Erlebte reden möchte, finde ich es auch nicht sinnvoll, sich dazu zu zwingen, weil man denkt, das müsste man so machen.

» Zitronengras » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »


Ich finde es schon gruselig, wenn du selbst bei intimsten Gefühlsäußerungen danach schielst, wie es die "anderen" machen und darauf wartest, dass man dir erklärt, wie es geht. Du lachst bestimmt auch "falsch", deine Selfies sind eine Katastrophe und aus der Art, wie du dich auf dem Sofa langweilst, kann man bestimmt auch keine Instagram-Story machen.

Ich kann dir versichern, falls du mal wirklich Grund haben solltest zu trauern, machst du es schon richtig. Vielleicht weinst du viel, vielleicht weinst du wenig, vielleicht bist du über Monate arbeitsunfähig, vielleicht brauchst du auch eine Therapie, Selbsthilfegruppe, was auch immer. Aber dann hast du garantiert andere Sorgen als die Frage, ob dein Schluchzen in den Ohren anderer richtig klingt und ob dein Gesicht der Situation angemessen aussieht.

Dazu kommt noch, dass Trauer anderen Leuten am liebsten ist, wenn sie nach drei Tagen vorbei ist und man wieder funktioniert. Kein Mensch will sich mit dir abgeben, wenn du ein paar Monate nach, was weiß ich, dem Unfalltod deines Ehemannes immer noch traurig in der Ecke hockst und über Herrmanns Blondinenwitze, mit denen er dich aufheitern will, nicht lachst. Wenn du schon so trauern willst, wie es andere gerne hätten, lass es lieber ganz.

» Gerbera » Beiträge: 11289 » Talkpoints: 41,52 » Auszeichnung für 11000 Beiträge



Ich denke, dass hier zwei verschiedene Dinge in einen Topf geworfen werden. Das eine ist das Trauern, das nicht unbedingt mir Weinen einhergehen muss. Viel mehr als nur durch Weinen macht sich Trauern bei mir durch meine Gedankengänge bemerkbar. Ich habe am ersten Weihnachtstag gerade wieder jemanden verloren. An sich war es "nur" ein alter Nachbar, den ich ein bisschen gepflegt und mit versorgt habe.

Tatsächlich war er für mich aber sehr viel mehr. In den letzten zwei Jahren, seit wir uns durch eine Verletzung von ihm nah kommen mussten, ist er für mich neben meinem Freund der einzige Mensch gewesen, der für mich so etwas wie Familie war. Er hat für mich den Großvater ersetzt, den ich nie wirklich hatte. Und seit er Weihnachten an Corona gestorben ist, fehlt er mir unheimlich und ich trauere um ihn.

Aber es sind meistens eben die Gedanken, durch die ich trauere. Ab und zu kommen auch Tränen dazu. Und nachdem ich in der Kindheit recht hart dazu erzogen wurde, dass man keine Tränen in der Öffentlichkeit zu zeigen hat und eigentlich auch seine Eltern nicht damit belästigen sollte, sondern sich zusammenzureißen hat, habe ich inzwischen gelernt, dass Tränen zum Alltag dazu gehören. Jeder Mensch hat Gefühle und darf sie auch zeigen. Vielleicht ist nur nicht jede Gelegenheit dafür unbedingt geeignet.

Um zur Überschrift zu kommen: Ja, ich denke, man kann auch "falsch" trauern. Zur Trauer gehören nicht nur die Tränen, es ist ein ganzer Prozess. Früher sagte man immer, die Zeit würde alle Wunden heilen. Inzwischen lese ich immer öfter die Erkenntnis, dass das nicht richtig ist, sondern mit der Zeit verblassen nur die Narben. Ich denke, das trifft es auch viel eher. Wenn ich an die Verstorbenen in meinem Leben denke, dann kommen mir auch jetzt noch die Tränen, obwohl teils mehr als 20 Jahre vergangen sind. Aber die Trauer um sie bestimmt nicht mein Leben, es gibt inzwischen viel mehr Gelegenheiten, wo ich nicht an sie denke.

Einige Menschen scheinen sich aber richtig in der Trauer zu "suhlen" und sich darin wohl zu fühlen, als ob die Trauer ihrem Leben erst einen Sinn gibt. Häufig ist dies bei Eltern zu sehen, die ein Kind verloren haben. Das Kind wird dann oft fast verherrlicht, es wird ein Schrein in der Wohnung errichtet, man erlaubt sich keinen Tag ohne traurige Gedanken an das Kind. Dass es noch andere Kinder gibt, wird dabei oft völlig übersehen, das tote Kind steht über allem, alles andere wird ihm untergeordnet.

Da hat die Trauer gar keine Chance, irgendwann zu enden. Sie wird eher größer, wird zum Lebensinhalt. Die Menschen können an nichts anderes mehr denken, bestehen fast nur noch aus Trauer. Es gibt kein Loslassen, es gibt kein echtes Leben mehr. Und diese Form der Trauer halte ich nicht unbedingt für richtig.

» SonjaB » Beiträge: 2698 » Talkpoints: 0,98 » Auszeichnung für 2000 Beiträge



Trauer ist eine sehr individuelle Erfahrung und es gibt kein "richtiges" oder "falsches" Verhalten in diesem Zusammenhang. Jeder Mensch trauert anders und es ist wichtig, dass du deine eigene Art zu trauern akzeptierst und respektierst.

Es kann sein, dass du Schwierigkeiten damit hast, vor anderen Menschen zu weinen, weil du vielleicht das Gefühl hast, dich verletzlich zu zeigen oder Schwäche zu zeigen. Das ist jedoch keine Schwäche, sondern ein natürlicher Teil des Trauerprozesses. Es ist wichtig, dass du dir selbst die Erlaubnis gibst, traurig zu sein und deine Gefühle zu zeigen, unabhängig davon, wie andere darauf reagieren.

Wenn es dir schwerfällt, vor anderen Menschen zu weinen oder deine Gefühle zu zeigen, kannst du dich auch auf andere Weise mit deiner Trauer auseinandersetzen, zum Beispiel indem du Tagebuch schreibst, Sport treibst oder dich anderen Aktivitäten widmest, die dir helfen, deine Emotionen zu verarbeiten.

Es kann auch hilfreich sein, mit anderen Menschen über deine Trauer zu sprechen, sei es mit einem Therapeuten, einem Freund oder einem Familienmitglied. Es ist wichtig, dass du dich von jemandem unterstützt fühlst und deine Gefühle teilen kannst.

Insgesamt ist es wichtig, dass du dir Zeit nimmst, um zu trauern und dich selbst nicht unter Druck setzt, um eine bestimmte Art und Weise des Trauerns zu erreichen. Es ist in Ordnung, deine eigene Art des Trauerns zu haben und es ist wichtig, dass du dir selbst erlaubst, diese Erfahrung auf deine eigene Weise zu machen.

» Aguti » Beiträge: 3109 » Talkpoints: 27,91 » Auszeichnung für 3000 Beiträge


Jeder trauert unterschiedlich und ich finde, dass du deine Art zu trauern auch nicht an bestimmten Verhaltensweisen wie Weinen festmachen solltest. Ich trauere bei Menschen kaum, ich weine nicht, ich bin zwar traurig, aber nach ein paar Tagen akzeptiere ich den Tod des Menschen und trage die Traurigkeit nur noch ein wenig mit mir herum, nehme aber das normale Leben recht schnell wieder auf.

Stirbt ein Tier, dann bin ich komischerweise deutlich trauriger und sensibler und weine deutlich offener als bei einem Menschen. Woran das liegt, weiß ich nicht, aber ich denke mittlerweile, dass es so okay ist wie es ist.

Es wird auch immer gesagt, dass mit der Trauer einige Phasen einhergehen. Laut Verena Kast sind das zum Beispiel das Nicht-Wahrhaben-Wollen, also das Leugnen, das Aufbrechen von Emotionen, das Suchen und Sich-Trennen und der neue Selbst- und Weltbezug. Diese Trauerphasen können jedoch unterschiedlich auftreten und unterschiedlich lange auftreten und geben an sich eine Art "Handbuch" für die Trauer ab. Aber dieser Prozess muss nicht immer gleich verlaufen und es ist tatsächlich bei jedem Menschen unterschiedlich.

» Wibbeldribbel » Beiträge: 12530 » Talkpoints: 71,65 » Auszeichnung für 12000 Beiträge


Warum suchst du bei dem Thema nach einem Richtig und einem Falsch? Das gibt es da nämlich absolut nicht. Ich selbst schlage dabei komplett aus dem Klischeedenken von anderen Leuten. Mir haut es zwar kurz nach der Mitteilung die Füße unter dem Boden weg, wenn eine mir nahstehende Person verstorben ist, aber ebenso schnell setzt bei mir das pragmatische Denken ein.

Viele Menschen merken mir dann gar keine Trauer an ohne dass ich dies bewusst unterdrücke. Allerdings gibt es dann kleinste Anlässe, wo es aus mir herausbricht und das dann auch nicht steuern kann. Mir ist es dann auch egal, was dann andere Menschen von mir denken. Selbst wenn sie nicht wissen, warum ich in dem Moment total verheult in der Gegend rumstehe.

Aus deren Sicht mag das dann vielleicht falsch sein, aber für mich ist es genau in dem Moment richtig, dass ich alles raus lasse. Es geht ja dabei um mich, mein Befinden und da gibt es eben für mich kein falsch. Warum sollte ich denn warten, bis ich mich ins stille Kämmerlein schließen kann, um meiner Trauer freien Lauf zu lassen? Man geht schließlich auch dann zur Toilette, wenn es für das eigene Wohlbefinden gut ist und nicht dann, wenn es für andere der richtige Zeitpunkt wäre.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge



Ähnliche Themen

Weitere interessante Themen

^