Schlechte Kindheit als Entschuldigung für Verhalten?

vom 09.09.2015, 11:28 Uhr

Im Fernsehen habe ich neulich eine Sendung über einen Prominenten aus den USA gesehen. An den Namen erinnere ich mich leider nicht mehr. Dieser war früher in einer Band, wurde dann aber sehr aggressiv und gewalttätig und musste ins Gefängnis. Nach einem Rehabilitationsprogramm wurde er wieder entlassen und gab nun einige Interviews für die Sendung. Es war von Anfang an ganz offensichtlich, dass er versuchte sein komplettes Verhalten mit seiner Kindheit zu entschuldigen. In der Schule wäre er gemobbt und geschlagen worden. Seine Eltern haben sich nicht so sehr um ihn gekümmert, wie andere Eltern das angeblich getan haben. Er hatte stets schlechten Umgang und hat sich irgendwann mit Gewalt gegen das Mobbing gewehrt.

Findet ihr so ein Verhalten legitim? Ich kann verstehen das eine miese Kindheit Spuren hinterlässt, aber man kann als Erwachsener nicht sein komplettes Verhalten damit entschuldigen, dass man als Kind mal gemobbt worden ist. Wie denkt ihr darüber? Ist das für euch auch schon mal eine Ausrede, wenn ihr etwas falsch gemacht habt?

» Crispin » Beiträge: 14916 » Talkpoints: -0,43 » Auszeichnung für 14000 Beiträge



Verschiedene Verhaltensweisen, die man sich während der Kindheit angeeignet hat und auch bis ins Erwachsenenalter nie abgelegt hat, lassen sich natürlich im Nachhinein nur schwer bekämpfen. Genau so ist es mit äußeren Einflüssen während der Kindheit, denn letztendlich sind es genau jene, die zu einem Großteil zur Prägung der späteren Persönlichkeit beitragen. Gleichzeitig sollte man aber während seiner Kindheit und Jugend auch die Fähigkeit entwickeln, Verhaltensmuster und Dinge zu hinterfragen und sich dadurch ändern können.

Gerade wenn man sich absolut gegenteilig zu einem Großteil der anderen Menschen verhält, sollte dies jemanden nachdenklich machen. Das bedeutet nicht, dass etwas Grundsätzliches nicht mit einem stimmt, aber möglicherweise entdeckt man so eigene Probleme, deren Bekämpfung man dann in Angriff nehmen kann.

Ich selbst habe mein Verhalten jedenfalls noch nie mit meiner Kindheit gerechtfertigt. Meine Eltern haben mir die bestmögliche Erziehung zukommen lassen und irgendwann erreicht jeder Jugendliche den Punkt, an dem man für Ratschläge der Eltern nur noch bedingt empfänglich ist und anfängt, seine eigenen Entscheidungen zu treffen und die eigene Persönlichkeit zu entwickeln.

Mir würde es daher im Traum nicht einfallen, Geschehnisse oder äußere Umstände aus meiner Jugend als Entschuldigung für ein unangebrachtes Verhalten heranzuziehen. Denn mit dem entsprechenden Alter sollte auch die Einsicht kommen, dass man für das eigene Verhalten verantwortlich ist. Ansonsten ist man in seiner Entwicklung leider in den Kinderschuhen hängen geblieben.

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» TamiBami » Beiträge: 2166 » Talkpoints: 0,00 » Auszeichnung für 2000 Beiträge


Ich finde es ehrlich gesagt nicht besonders toll, wenn man eine schwere Kindheit als Ausrede für alles benutzt. Es ist eine Sache, wenn man unter einer schweren Kindheit zu leiden hatte, aber eine komplett andere, wenn man bestimmte daraus folgende Verhaltensweisen ablegen möchte.

Ein erwachsener Mensch sollte doch dazu in der Lage sein, das eigene Verhalten kritisch zu hinterfragen und auch zu optimieren, also gezielt zu steuern. Alles immer nur auf die Kindheit zu schieben finde ich offen gesagt ziemlich kindisch, unreif und irgendwo auch erbärmlich.

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» Olly173 » Beiträge: 14700 » Talkpoints: -2,56 » Auszeichnung für 14000 Beiträge



Dass eine schlechte Kindheit nicht als Entschuldigung für alle negativen Verhaltensweisen gelten kann, ist klar. Aber man wird trotzdem von seiner Kindheit geprägt und übernimmt unbewusst Verhaltensweisen, die bis ins Erwachsenenalter bestehen. Und diese Verhaltensweisen wieder loszuwerden, ist ein stetiger Kampf.

Wenn man eine behütete Kindheit mit bestmöglicher Erziehung hatte, dann ist das nett und man bekommt diese negativen Einflüsse gar nicht mit. Mir stellt sich halt die Frage, ob der Prominente in seiner Jugend/Kindheit auch nur Gewalt erfahren hat oder ob er auch mal Momente hatte, in denen er diese Verhaltensweisen auch reflektieren konnte, oder den entsprechenden Input bekommt hat.

Hat er dies nicht, dann ist es logisch, dass er nicht anders reagieren kann. Denn meiner Meinung nach besteht das Verhalten des Menschen unter Anderem aus seinen erlernten Verhaltensweisen. Manche kann man gut abschalten, andere verfolgen uns bis ins Erwachsenendasein und stehen im ständigen Kampf zum Gegenwart-Ich.

Wenn ich zurückdenke, dann war meine Kindheit auch nicht nett und geprägt von Gewalt, Vernachlässigung und Mobbing. Aber irgendwo muss es einen Input gegeben haben, dass ich nicht komplett verhunzt wurde. Ich haue auf jeden Fall nicht jedem, der mir schief kommt, eine auf die Glatze, um es mal so auszudrücken. Aber ich gebe auch zu, dass ich manche Verhaltensweisen bis ins Erwachsenendasein übernommen habe, weil ich es nicht anders kenne. Und ich finde es entgegen der Meinung von Olly173 weder kindisch noch erbärmlich, da der Mensch nur das umsetzt, was er gelernt hat.

» Wibbeldribbel » Beiträge: 12530 » Talkpoints: 71,65 » Auszeichnung für 12000 Beiträge



Es gibt glaube ich niemanden, der nicht irgendwelche schlechten Erfahrungen in seiner Kindheit gemacht hat. Das gehört zum Erwachsen werden doch mit dazu, dass man auch mit Konflikten klar kommen muss. Und gerade die "behütete Kindheit mit bestmöglicher Erziehung" führt doch nicht selten dazu, dass Kinder von Gleichaltrigen gemobbt werden oder sich ausgeschlossen fühlen.

Ich hatte eine Mitschülerin, deren Eltern für sie auf jeden Fall nur das Beste wollten. Sie hatte tolle Urlaube, tolle Hobbys, eigenes Pferd und auch noch top Noten. Und dann treffe ich sie einige Jahre später und sie erzählt mir, dass sie das Studium abgebrochen hat, zu ihrem Freund nach Frankreich gezogen ist und jetzt erst mal bei den Schwiegereltern im Hotel arbeitet bis sie weiß, wie es beruflich weitergehen soll. Sie hat sich von ihren Eltern und deren Erwartungen total erdrückt gefühlt und ist immer weniger damit klar gekommen, dass ihre Karriere und ihr Leben praktisch schon vorgeplant sind.

Ich glaube bei vielen ist nicht die Kindheit das eigentlich Problem sondern die Unfähigkeit das eigene Verhalten zu reflektieren und zu ändern. Kann natürlich sein, dass man genau das auch in der Kindheit lernt, oder eben nicht, und, dass es schwer ist dieses Lernen als Erwachsener nachzuholen. Aber unmöglich ist es sicher nicht.

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» Cloudy24 » Beiträge: 27476 » Talkpoints: 0,60 » Auszeichnung für 27000 Beiträge


Wenn so ganz grundsätzliche Dinge in der Kindheit falsch gelaufen sind, sind diese später auch sehr schwer zu erlernen. Wenn man beispielsweise kaum Liebe erfahren hat, dann fällt es schwer diese selber später zu erleben. Wenn man gelernt hat, dass man niemanden vertrauen kann, dann wird das auch als Erwachsener schwer sein. Wenn man früh mit Drogen und so weiter angefangen hat, dann ist das auch nicht mal eben so zu vergessen und da entstehen dann schon auch Dinge, die man nicht wieder einfach wegbekommt aus dem eigenen Kopf.

Bei einer extrem schlechten Kindheit sollte man Therapien machen, sich helfen lassen. Dann kann man sicherlich auch als Erwachsener ein gutes Leben führen. Wenn man aber nichts macht, kann eine sehr schlechte Kindheit schon zu Straftaten und einem asozialen Verhalten führen. Das sehe ich dann auch nicht als Ausrede, weil da einfach grundsätzliche Dinge nicht passiert sind und der Mensch es nicht anders kennt.

Natürlich läuft keine Kindheit perfekt und es gibt immer mal etwas, was schlecht laufen wird, aber solche Fälle sind dann schon noch mal anders zu bewerten, als beispielsweise bei jemanden, der nur normale Probleme hatte.

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» Ramones » Beiträge: 47746 » Talkpoints: 6,02 » Auszeichnung für 47000 Beiträge


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