Wann Person auf Grund ihres Handicaps ansprechen?

vom 16.04.2019, 06:31 Uhr

Ich habe vor einigen Monaten eine Person kennen gelernt, die im Rollstuhl sitzt und im Alltag darauf angewiesen ist. Ich persönlich habe die Person aber nie darauf angesprochen, was der Grund dafür ist, auch wenn mich das interessieren würde. Ich finde, dass die Person das selbst von sich aus ansprechen sollte, wenn sie kein Problem damit hat, darüber zu reden.

Ich kann nur vermuten, dass die Person einen Unfall hatte und seitdem im Rollstuhl regeneriert. Ich habe kürzlich mitbekommen, wie die Person sich versucht hat ohne Rollstuhl fortzubewegen und das Gesicht ist ganz vernarbt als hätte es einen Unfall gegeben. Wann sprecht ihr persönlich eine Person auf ihr Handicap an? Wartet ihr da immer auf entsprechende "Signale" vom Gegenüber oder eher weniger?

Benutzeravatar

» Täubchen » Beiträge: 33305 » Talkpoints: -1,02 » Auszeichnung für 33000 Beiträge



Ich finde man muss schon eine gewisse Basis zueinander haben um über so etwas reden zu können. Ich hatte auch mal eine Rollstuhlfahrerin in meiner Klasse, allerdings hatte diese eine fortschreitende Krankheit, was man so auch sehen konnte. Da sie locker war konnte man sie auch sofort darauf ansprechen und sie erzählte dann was war, bei jedem würde ich das aber nicht machen. Wenn die Person nicht selber Signale gibt, dass sie darauf angesprochen werden will und locker mit dem Thema umgeht, würde ich dies auch nicht ansprechen. Außerdem braucht es auch Vertrauen zueinander.

Benutzeravatar

» Ramones » Beiträge: 47746 » Talkpoints: 6,02 » Auszeichnung für 47000 Beiträge


Mein erster Impuls wäre wohl zu sagen, dass ich niemals jemanden nach dem Grund zu fragen habe, warum derjenige ein Handicap hat. Ich finde das irgendwie unhöflich. Meiner Meinung nach ist das eine sehr intime Frage und ich würde nicht wollen, dass sich derjenige nur wegen meiner Frage unangenehm fühlt oder womöglich sogar verletzt ist. Wenn es ein Unfall war, kann es durchaus sein, dass derjenige das Geschehene selbst noch nicht verarbeitet hat. Und bei einem angeborenen Handicap kann es auch durchaus sein, dass derjenige die Frage nicht gut aufnimmt. Ich will gar nicht wissen wie viele Menschen mit Handicap täglich diese Frage erhalten, wie es dazu kam oder wie Sie damit klarkommen. Viele Menschen mit einer Behinderung werden darauf reduziert und das ist mit Sicherheit gar kein schönes Gefühl.

Andererseits ist man natürlich schon neugierig wenn man sieht, dass jemand auch ohne Rollstuhl gehen kann (oder es versucht). Dann liegt natürlich die Vermutung nahe, dass dies nur ein temporärer Zustand ist bzw. derjenige womöglich schon auf dem Weg der Besserung. In so einem Szenario kann es gut sein, dass ich mich dazu durchringe und vorsichtig frage, was eigentlich geschehen ist. Allerdings auch nur, wenn ich die Person entweder sehr gut kenne oder ich mich zumindest mit dieser Person sehr gut verstehe. Einen flüchtigen Bekannten oder gar einen Fremden würde ich niemals so private Fragen stellen.

» Anijenije » Beiträge: 2730 » Talkpoints: 53,02 » Auszeichnung für 2000 Beiträge



Ich habe mal jemanden in der Mensa angesprochen weil sie ein Buch in Brailleschrift gelesen hat. Ich wusste natürlich, dass es Bücher für Blinde gibt, aber ich hatte so ein Buch noch nie gesehen und angefasst. Also habe ich sie spontan darauf angesprochen.

Sie hat sich total gefreut, dass ich locker und unverklemmt auf sie zugegangen bin und meinte, dass das selten wäre. Die meisten Leute würden eher verkrampft versuchen ihre Sehbehinderung nicht anzusprechen, auch in Situationen, in denen diese durchaus eine Rolle spielt.

Ich kann schon verstehen, dass man jemanden möglichst "normal" behandeln will, aber so etwas wie "was ließt du für ein Buch?" oder "wie funktioniert diese Schrift?" ist ja auch normal. Wenn jemand mit einem japanischen Buch da sitzen würde, würde man diese Fragen vielleicht auch stellen und sich nichts dabei denken.

Würde ich jemanden fragen warum er im Rollstuhl sitzt? Wahrscheinlich nicht, weil ich mir denken kann, dass die Frage schon oft gestellt wurde und irgendwann einfach nur noch nervt. Das ging mir ja schon nach ein paar Wochen auf Krücken so. Dazu kommt noch, dass ein Unfall ja durchaus ein tragisches Erlebnis sein kann, über das man nicht einfach so nebenbei sprechen möchte.

Benutzeravatar

» Cloudy24 » Beiträge: 27476 » Talkpoints: 0,60 » Auszeichnung für 27000 Beiträge



Fremde oder flüchtige Bekannte würde ich nur dann auf ihr Handicap ansprechen, wenn es danach aussieht, als würden sie Hilfe brauchen, weil die Tür mal wieder schwer aufgeht oder das Waschmittel im Supermarkt nicht zu erreichen ist. Aber davon abgesehen geht es mich meiner Meinung nach schlicht nichts an, und ich will gar nicht wissen, wie oft optisch von der Norm abweichende Menschen aus purer Neugierde auf ihre Handicaps angesprochen werden.

Soviel Empathie kann ich noch zusammenkratzen, dass ich mir vorstellen kann, wie sehr das nerven muss, ständig auf den Rollstuhl oder den Gehstock oder die Narben oder den weißen Stock reduziert zu werden. Besonders nervig stelle ich mir vor, wenn die Kommentare dann auch noch darauf abzielen, dass man ja gar nicht auf diese Art behindert sei, wie man es aus dem Fernsehen kennt.

Nicht jeder, der im Rollstuhl sitzt, ist querschnittsgelähmt und ich finde es schon arg dämlich, dann große Augen zu bekommen, wenn die Person aufsteht, oder der Mensch mit dem Blindenstock das Handy herauszieht. Was geht es mich außerdem an, ob jemand temporär oder dauerhaft eingeschränkt ist und ob die Narben von einem Arbeitsunfall herrühren?

» Gerbera » Beiträge: 11292 » Talkpoints: 42,29 » Auszeichnung für 11000 Beiträge


Das erinnert mich an meine Lehrerin, die ich von der siebten bis zur zehnten Klasse hatte. Sie hatte sichtbar einen Arm verloren und natürlich haben sich die Schüler schon manchmal gefragt, warum das so gewesen sein könnte. Gefragt hat aber nie jemand, obwohl sie ansonsten eine sehr offene Person gewesen ist und uns auch viel über ihr Privatleben erzählte und über so manche Erfahrung, die sie uns mit auf den Weg geben wollte. Irgendwann in der zehnten Klasse hat sich dann irgendein Schüler doch getraut, die Frage nach der Behinderung zu stellen.

Sie hat ein Reden über die Sache an sich aber freundlich abgelehnt und obwohl ich nicht die Person war, die gefragt hatte, habe ich mich in dem Moment fast beschämt gefühlt. Ich würde daher niemals jemanden fragen, zu dem ich nicht ein engeres Verhältnis hätte und in diesem Fall würde mir der Mensch das sicher schon zeitnah erzählen. Dass Menschen neugierig sind in der Sache kann ich gut verstehen, aber auch die Entnervung eines Behinderten, der diese Fragen nicht zum tausendsten Mal in seinem Leben hören möchte.

Ich habe schon von Leuten mit Einschränkungen oder medizinischen Geräten am Körper gehört, dass sie auf der Strasse von Wildfremden gefragt wurden, was es damit auf sich hat und was da passiert ist. Manche haben wirklich gar keine Hemmungen. Eine Frau mit Insulin-patch-Pumpe am Bein wurde von einer des Weges kommenden Oma mal gefragt, ob sie eine elektronische Fußfessel tragen würde. :mrgreen:

» Verbena » Beiträge: 4789 » Talkpoints: 3,77 » Auszeichnung für 4000 Beiträge


Ähnliche Themen

Weitere interessante Themen

^