In Deutschland geboren werden und dennoch schlecht sprechen?

vom 03.12.2015, 19:23 Uhr

Neulich habe ich eine Sendung über einen Arbeitgeber gesehen, der neue Auszubildende gesucht hat. Es haben sich einige Schüler beworben, die er eingeladen hat. Einer von ihnen konnte nur sehr schlecht Deutsch. Die Aussprache war ganz in Ordnung, aber die Satzstellung und die Grammatik war schlecht. Auch der Wortschatz ließ zu wünschen übrig.

Das interessante daran aber war, dass der junge Mann hier in Deutschland geboren worden ist. Er hat arabische Eltern und diese können nur sehr schlecht Deutsch. Außerdem scheinen die meisten Freunde des jungen Mannes auch aus dem Ausland zu kommen.

Wie kann es sein, dass jemand der in Deutschland geboren ist, dennoch kein vernünftiges Deutsch sprechen kann? Kann man sich wirklich so von der Außenwelt abkapseln, dass man sich nur noch mit ausländischen Freunden umgibt, die selbst auch nur wenig Deutsch sprechen? Kennt ihr solche Fälle?

» Crispin » Beiträge: 14916 » Talkpoints: -0,43 » Auszeichnung für 14000 Beiträge



Es gibt so viele Jugendliche, die in Deutschland geboren wurden, deren Eltern und Großeltern ebenfalls in Deutschland geboren wurden, also sozusagen "Urdeutsche" sind und dennoch keinen geraden Satz auf Deutsch herausbekommen. Da braucht man nicht erst in Richtung der vielen Immigrantenkinder schauen, da genügt schon ein Blick zu den strammrechten Montagsspatziergängern um festzustellen, dass es bei viel zu vielen Menschen in Deutschland mit den Deutschkenntnissen nicht weit her ist.

Ich bin zwar durch Geburt Deutscher und Deutsch ist meine Muttersprache, meine Eltern sind aber auch im Ausland geboren und nach Deutschland eingewandert. Dementsprechend viel Kontakt hatte ich in meiner Kindheit und Jugend auch mit anderen Ausländern und konnte da nie beobachten, dass die Deutschkenntnisse sehr schlecht waren. Auch heute kann ich das nicht beobachten, wenn wir ins örtliche Kulturzentrum gehen, in welchem sich ebenfalls viele Einwandererfamilien mit ihren Kindern treffen.

Natürlich gibt es immer auch Fälle, in denen schon die sprachliche Integration gescheitert ist. Das geschah teils aus schlichtem Unwillen, die neue (also deutsche) Sprache zu lernen und auf der anderen Seite gab es oftmals auch nicht die entsprechenden Angebote. Darüber hinaus wurde vor allem bei den Immigranten der Vorgeneration oftmals nicht allzu viel Wert auf gute Deutschkenntnisse gelegt, da sie ihre Arbeiten auch so verrichten konnten.

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» TamiBami » Beiträge: 2166 » Talkpoints: 0,00 » Auszeichnung für 2000 Beiträge


Es gibt immerhin sogar eine ansehnliche Zahl an Analphabeten. Eine Schätzung beträgt 7,5 Millionen. Und davon haben sicherlich sehr viele nicht mal einen Migrationshintergrund.

Ich denke nicht, dass es wirklich einfach ist, dermaßen durch´s Raster zu fallen, aber wie man sieht, kann das durchaus passieren. Wahrscheinlich läuft schon sehr früh was schief. Zu früh eingeschult oder einfach ein bisschen langsamer als die anderen Schüler. Auf irgendeine Weise zu anstrengend für die Lehrer, so dass es einfacher ist, wenn man ruhig ist und sich zurückhält.

Mit der Zeit lernen Analphabeten damit zurecht zu kommen. Sie erfinden Ausreden, warum sie etwas gerade nicht lesen können. In der Kindheit sind sie wohl meistens trotzig, bekommen dann Ärger und werden ins Zimmer geschickt oder in der Schule zu Stillarbeit verdonnert. Dann gelten sie als schwierig und faul.

In den Details kann ich es mir auch schwer vorstellen. In jeder zweiten Situation im Leben muss man lesen können. Aber irgendwie kann man sich da wohl durchwurschteln. So dass es kaum jemanden auffällt. Dann klappt das mit schlechten Fähigkeiten in Lesen und Schreiben erst recht.

Und wenn sich das Umfeld erst mal damit abgefunden hat, dass da nicht viel zu erwarten ist, findet auch keine Förderung mehr statt. Dann wird man mit den anderen Problemkindern auf´s Abstellgleis gestellt und hat gar keine Chance mehr. In Schulen, in denen viele Kinder besondere Förderung oder Aufmerksamkeit bräuchten, kommen viele zu kurz. Zu wenig Lehrer, zu wenig Geld, zu wenig Innovationen.

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» Bienenkönigin » Beiträge: 9448 » Talkpoints: 19,93 » Auszeichnung für 9000 Beiträge



Was ist so überraschend daran? In meinem Bundesland sprechen rein statistisch gesehen 18 Prozent aller Kinder bei der Einschulung kein oder nur wenig Deutsch. Wobei es natürlich große regionale Unterschiede gibt. Dort, wo nur relativ wenige Menschen mit Migrationshintergrund leben, ist es selten.

Aber hier bei mir in der Gegend gibt es Schulklassen, in denen sprechen nur ein oder zwei Kinder Deutsch. Und deren Eltern gehören hier zur zweiten oder dritten Generation, also sollte man die Landessprache können und wichtig finden.

Aber oft ist das nicht gewünscht. Meine Nachbarin ist hier geboren, sie kann Hallo sagen. Das finden Familie und Ehemann, letzterer spricht hervorragend Deutsch, sehr praktisch. Denn so bleibt die Frau immer in den typischen Bahnen der Gemeinde und die Kinder sprechen die Heimatsprache und verinnerlichen die Kultur. Denn es besteht eine große Angst, seine Wurzeln zu verlieren.

Deutsch ist die Sache von Kindergarten und Schule. Das klappt in Gegenden wie meiner aber nicht. Zu viele Kinder sprechen kein Wort und bilden Gruppen mit gleichsprachigen. Lehrer und Erzieher können gerade einmal einzelne Worte vermitteln. Untereinander und daheim wird wieder in der Muttersprache geredet.

Für uns ist schwer verständlich, warum man nicht die Sprache seiner neuen Heimat lernt. Schließlich möchte man nicht zurückgehen sondern lebt dauerhaft hier. Aber es geht doch sehr gut ohne. Einkaufen, Arztbesuch, Führerschein und vieles mehr lässt sich so erledigen.

» cooper75 » Beiträge: 13327 » Talkpoints: 498,02 » Auszeichnung für 13000 Beiträge



Geht es hier um Hochdeutsch oder allgemeines Deutsch? Denn in manchen Gegenden, wo stark Dialekt gesprochen wird und die Menschen theoretisch sogar Hochdeutsch richtig lernen müssen, kommt sogar das zu kurz. Nicht jeder Einheimische kann ausreichend Hochdeutsch um sich zu verständigen.

Aber das mit den Migranten ist sicherlich auch ein wichtiger Punkt. Es kommt oft zu Fremdsegregation und Selbstsegregation, sodass man eher unter sich bleibt. Das ist auch kein Wunder, wenn man oft genug von den Biodeutschen hört, dass man ja ausländische Wurzeln hätte und damit nicht dazu gehören würde. Irgendwann kapseln sich die Migranten ab und bilden eigene Netzwerke. In diesen Netzwerken ist dann alles in der Muttersprache vertreten: Bäcker, Friseur, Steuerberater, sogar Ärzte und Versicherer. Selbst Einkaufen kann man ohne ein Wort Deutsch sprechen zu müssen. Da lernt man Deutsch wirklich nur in der Schule und im Kindergarten.

Ein Bekannter von mir hat nur deswegen perfektes Deutsch gelernt, weil er in die Vorschulklasse kam (er war nie im Kindergarten hier) und es in der gesamten Grundschulzeit zusätzlichen Förderunterricht auf Deutsch gegeben hat. Nur deshalb kann er jetzt so gut Deutsch. Ansonsten hätte er das nie gelernt, weil im privaten Umfeld eben nie Deutsch gesprochen wird. Ich denke, dass sich das Problem beheben lassen würde, wenn man genug Lehrer hätte, aber im Zeitalter von Lehrermangel wird das schwer.

Selbst der Vater kann nach fast 30 Jahren in Deutschland keinen vernünftigen und verständlichen deutschen Satz produzieren, was ich beschämend finde. Aber so ist das eben, wenn man unter sich bleibt und sich von den Deutschen ausgegrenzt fühlt.

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» Täubchen » Beiträge: 33305 » Talkpoints: -1,02 » Auszeichnung für 33000 Beiträge


In solchen Fällen hat die Schule versagt. Aber ich denke, dass das doch mittlerweile absolute Ausnahmefälle sind, in denen Kinder, die hier geboren sind und hier in die Schule gegangen sind, derart schlecht Deutsch sprechen, dass sie nur wenige und zudem noch grammatikalisch völlig verkehrte Sätze herausbringen. In meinem Umfeld sprechen die Migrantenkinder, die hier geboren wurden, genauso gut beziehungsweise schlecht Deutsch wie diejenigen, deren Eltern Deutsch als Muttersprache haben, selbst wenn die Eltern sehr schlecht Deutsch reden.

Wir haben in Bayern aber auch ein relativ gutes Schulsystem. Der Migrantenanteil in München ist mit über 25 Prozent sehr hoch, viel höher als beispielsweise in Berlin, was aber im Gegensatz zu der Lage in anderen Städten kein Problem darstellt. Für Kinder, die noch kein Deutsch können, gibt es spezielle Übergangsklassen, es werden Deutschkurse für Mütter am Vormittag angeboten und vieles mehr.

» anlupa » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »


Anlupa, du findest einen Anteil von einem Viertel Migranten hoch? Dann ist klar, warum du von Schulversagen sprichst. In meiner Stadt haben 63,6 Prozent aller Kinder und Jugendlichen unter 18 einen Migrationshintergrund. Viele Grundschulen haben 90 Prozent Schüler mit Migrationshintergrund, von denen viele kein Deutsch sprechen. Selbst in den Stadtteilen, die nur wenig Migranten haben, liegt der Anteil höher als bei euch.

» cooper75 » Beiträge: 13327 » Talkpoints: 498,02 » Auszeichnung für 13000 Beiträge



Ich kann davon ein Lied singen, dass hier ganz viele Menschen in meiner Umgebung hier geboren sind, aber ein Deutsch an den Tag legen, welches grottig ist, dass ich mich frage, welchen Schulabschluss hast du? Wie Real oder HA? Mit dem Deutsch nie im Leben! Und davon kenne ich genug.

Natürlich sprechen viele z.B. Libanesen oder andere Landsmänner daheim ihre Sprache oder die Sprache der Eltern. Kapiere ich und würde ich auch nie jemanden absprechen wollen. Dann haben sie aber häufig auch den Freundeskreis so angepasst, dass es eigene Landsleute sind oder eben Leute, mit denen sie auch kulturell eher verbunden sind, als mit uns.

Dann wundert es mich bei vielen eben auch nicht, dass man mit 15-19 Jahren und darunter oder drüber so schlecht deutsch spricht, dass man annehmen könnte, er ist ein Flüchtling und frisch zu uns gestoßen. Mancher Flüchtling spricht in unserer Umgebung schon besser Deutsch, wie so manch einer, mit denen ich hier tagein und tagaus zu tun habe!

Nur weil man in Deutschland eben geboren ist, spricht man ja nicht automatisch deutsch fließend. Es kommt eben darauf an, was daheim dann auch gelernt wird, mit wem man im Alltag verkehrt usw. Wenn man sich nur mit eigenen Landsleuten oder Verwandten und Freunden derselben sprachlichen Hintergründe der Eltern oder Verwandten umgibt, spricht man eben auch schlechter Deutsch.

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» Kätzchen14 » Beiträge: 6121 » Talkpoints: 1,40 » Auszeichnung für 6000 Beiträge


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