Einem Kind die Gefahr durch Spiele vorenthalten?

vom 04.11.2011, 22:34 Uhr

Wir haben uns letztens im Geschichtsunterricht den Film "Das Leben ist schön" aus dem Jahr 1997 angesehen. Der Film spielt im Zweiten Weltkrieg und da wir uns gerade sowieso mit der Nazidiktaktur beschäftigen, passt der Film ganz gut mal zwischen den trockenen Theorieunterricht.

Im Film geht es um eine italienische Familie. Der Vater Guido und sein Sohn Giosué werden in ein Konzentrationslager gebracht. Der Junge ist noch ziemlich klein und versteht deshalb nicht was mit ihm geschieht. Der Vater bringt es jedoch nicht übers Herz, seinem Sohn zu erklären, was mit ihnen passieren würde und spinnt seinem Sohn deshalb bis zum Ende eine Lügengeschichte auf. Er sagt ihm, dass sie sich streng an alle Regeln halten müssten und am Ende dann als Sieger aus dem Spiel herausgehen würden und einen echten Panzer bekommen würden. Der Junge ist davon natürlich beindruckt und glaubt alles, was sein Vater ihm weismacht.

Versetzen wir uns einmal in die Lage der Leute, die damals gelebt hatten und in solch ein Konzentrationslager gebracht wurden. Würdet ihr euch genauso verhalten wie der Mann im Film? Würdet ihr es übers Herz bringen eurem kleinen Kind zu erklären, warum ihr hier her gebracht wurdet, weil ihr Juden seit und in wenigen Tagen vergast werden würdet? Würdet ihr so handeln wie Guido und euren Kindern sagen, das alles sei nur ein Spiel, um ihnen nicht unnötig Angst zu machen?

» iCandy » Beiträge: 1584 » Talkpoints: 0,00 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



Für Eltern ist es normal, dass sie versuchen, ihre Kinder zu beschützen. Gerade bei Extremsituationen laufen Eltern zur Höchstform auf und versuchen alles schlechte bzw. schädliche von ihren Kindern fern zu halten. Wenn man als Elternteil nun versucht so etwas wie die Gaskammer oder auch das Konzentrationslager im allgemeinen durch ein "Spiel" von dem Kind fern zu halten, dann ist es nur gut für das Kind. Es wird zwar das unter Umständen das Ergebnis, in diesem Fall den Tod nicht von ihm fern halten, allerdings bringt es das Kind dazu, keine Angst zu haben. Wenn ich Kinder hätte würde ich es ähnlich machen, da es mir wichtiger wäre, dem Kind noch ein paar erträgliche oder auch glückliche Tage zu machen, als ihm in so einem Fall die Wahrheit zu sagen.

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» martin22 » Beiträge: 231 » Talkpoints: 0,58 » Auszeichnung für 100 Beiträge


Ich denke, dass man so etwas schlecht beurteilen kann, wenn man nicht selbst in der Situation steckt. Ich denke aber, ich würde es ähnlich mache, wenn ich Kinder hätte und in dieser Situation stecken würde. Kinder sind klein und verstehen noch nicht alles, was da draußen in der Welt vor geht. Würde man ihnen in so einer Situation die Wahrheit sagen, würden sie es wahrscheinlich verstehen und man würde sie unnötig verrückt machen und sie würden vielleicht sogar durch drehen. Genau weiß man so etwas nur, wenn man darin steckt. Man handelt dann nach seinem Instinkt und Gefühlen.

» Jenna87w » Beiträge: 2149 » Talkpoints: 0,47 » Auszeichnung für 2000 Beiträge



Vor ca. zwei Monaten habe ich das Buch "Raum" von Emma Donoghue gelesen, das sich zwar mit einer anderen Situation, aber dem gleichen Thema befasst. Dort ist eine Mutter über Jahre in einem Keller gefangen und hat dort ein Kind von dem Geiselnehmer bekommen. Dieses Kind bewahrt sie ebenfalls vor dem ganzen Schrecklichen der Situation, indem sie ihm eine eigene Welt erschafft. Während des Lesens habe ich viel darüber nachgedacht.

Ich denke, es bleibt einem gar nichts anderes übrig, als das Kind von allem abzuschotten. Man kann einem so kleinen Kind doch nicht die ganze Grausamkeit dieser unsagbar schrecklichen Situation vermitteln, die man als Erwachsener kaum ertragen kann. Was muss in dem Kind vorgehen, das sich ja noch ganz andere Gedanken macht. Das würde doch zu einem psychischen Wrack werden, das schon die "normalen" Tage in dem Gefängnis nicht mehr durchleben kann. Jeder einzelne Tag, jede Stunde würde zur Qual werden.

Diese Art und Weise ist zwar für die Erwachsenen nicht leicht, aber wenigstens quälen sich die Kinder nicht. Und ich denke, das hilft auch den Erwachsenen wieder, denn auch sie erleben die ganze Grausamkeit ja jedes Mal neu, wenn ihr Kind eine Frage stellen würde oder weint. Wenn das Kind glücklich ist - weil es ja nichts weiß - dann muss auch das Elternteil sich zwingen, die Situation zu überstehen. Dann muss man sich zwingen, überall etwas Schönes zu sehen oder auch mal zu lachen. Ich denke, auf diese Weise können beide Teile, der Erwachsene und das Kind, überleben ohne allzu sehr psychischen Schaden zu nehmen.

» SonjaB » Beiträge: 2698 » Talkpoints: 0,98 » Auszeichnung für 2000 Beiträge



Ich finde es ebenfalls schwierig, zu beurteilen, was ich meinem Kind erklären würde. Eher gehe ich davon aus, dass ich so in panischer Angst wäre, dass ich mir gar keine so geniale Geschichte ausdenken könnte. Aber der Film ist ja wirklich irre gemacht und ich finde es moralisch durchaus vertretbar, dass man etwas schummelt, um die Kinder zu schützen, denn diese Zeit ist ja nicht zu vergleichen mit den Zeiten, die wir durch gemacht haben. Wenn wir unseren Kindern weis machen, dass es einen Nikolaus und einen Weihnachtsmann, sowie einen Osterhasen gibt, was ist denn an der Geschichte von "Das Leben ist schön" verwerflich? Ich würde den Film jedem empfehlen, allem Voran den Schülern aus der Gymnasium Oberstufe.

» nordseekrabbe » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »


Ich kann das Verhalten des Vaters sehr gut nachvollziehen. Die Idee, dem Jungen das Leben in dem Moment leichter zu machen durch eine Geschichte oder ein Spiel, finde ich gut, denn warum sollte man dem Kind Angst machen?

Ich würde wohl genau so handeln. Ich würde in einer gefährlichen Situation oder Lage von diesem Ausmaß auch lieber eine Geschichte erfinden, als meinen kleinen Sohn mit der bitteren, gemeinen Wahrheit zu konfrontieren. Für Kinder ist das ganze Leben sowieso ein riesengroßes Spiel, in dem es immer wieder Gewinner und Verlierer gibt, das jeden Tag irgendwie ein neuer Wettbewerb ist. Ich denke, dass kleine Kinder dann auch mit schlimmen Situationen umgehen können. Und ja, ich würde auch, wenn ich wüsste, dass mein Sohn und ich sterben müssten, mit allen Mitteln versuchen ihm die letzte Zeit so schön wie möglich zu machen. Ich würde ihm trotz allem versuchen die Sterne vom Himmel zu holen und würde ihn glücklich machen wollen. Ihm Geborgenheit und Liebe vermitteln wollen und ihm auf keinen Fall die nackte Wahrheit sagen, die sein kleines Herz brechen und sein liebevolles Weltbild zerstören würde.

Auch wenn es schwer vorstellbar ist, dass Eltern, wenn sie ihren eigenen Tod vor Augen haben, noch in der Lage sind positiv zu denken, so glaube ich, dass ich diese Kraft für meinen Sohn aufbringen würde.

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» ArcaNoé » Beiträge: 299 » Talkpoints: 2,45 » Auszeichnung für 100 Beiträge


Ich denke, ich würde in der Situation genauso handeln und finde es auch völlig legitim. Ich würde versuchen mein Kind zu schützen, solange ich die Macht dazu habe. Dazu gehört für mich auch, etwas Schrecklichem den Schrecken zu nehmen. Warum sollte ich nicht versuchen, ihm eine "heile Welt" zu erhalten, solange es noch geht?
Nicht annähernd so schrecklich, aber im Grunde das Gleiche ist es doch auch, wenn wir unsere Kinder vor einer OP beruhigen, ihm das Gefühl vermitteln alles wird sich zum Guten wenden und entwickeln.

» claupau » Beiträge: 208 » Talkpoints: 5,16 » Auszeichnung für 100 Beiträge



Ich habe den Film in der Schule ebenfalls schon mal gesehen und ich schätze mal, dass es auf deine Frage keine konkrete Antwort gibt. Irgendwo gehört die Verdrängung ja doch zu unserem Leben, Menschen verdrängen alles mögliche, bewusst oder unbewusst, wieso sollte man das bei einem Kind also nicht auch anwenden und seine Angst einfach damit überspielen, dass man etwas erfindet, das dem Kind weniger Angst einjagt? Ich schätze mal, dass das einfach auf die Situation ankommt, denn wenn man als Elternteil weiß, man selbst und das Kind werden bald sterben, dann ist es an sich für beide doch angenehmer, wenn man die letzten Momente so angenehm wie möglich gestaltet, zum Beispiel eben, indem man sowas erfindet und dafür sorgt, dass das Kind noch ein wenig Spaß hat und sich auf etwas freut. Das halte ich in dem Sinne eigentlich für Recht sinnvoll, anstatt das es in Panik ausartet.

Als Elternteil muss man vermutlich ganz schön stark sein, sich sowas zu überlegen und das dann auch durchzuziehen, aber für ein junges Kind ist das sicherlich eine gute Ablenkung, kann ich mir zumindest vorstellen. In dem Sinne ist das in dem Film ja sogar noch recht gut gehandhabt worden, denn die Bedingungen das Spiel zu gewinnen waren, die Regeln einzuhalten und das bedeutete für den Jungen, dass er sich selbst nicht unnötig in Lebensgefahr brachte, was in gewisser Weise ja dann wieder ein kleiner Hoffnungsschimmer war, für den Fall, dass sie doch noch errettet würden. Ob ich das machen würde, ich weiß es nicht, aber sinnvoll finde ich es bei jungen Kindern schon irgendwie. Verstehen würden sie die Wahrheit ja doch nicht.

» Crispin » Beiträge: 14916 » Talkpoints: -0,43 » Auszeichnung für 14000 Beiträge


Ich kenne den Film natürlich auch und finde das Verhalten des Vaters verständlich bis, wenn man das so formulieren kann, "vorbildlich". Es ist wohl das Bestmögliche, was man für sein Kind in einer solchen Situation noch tun kann: Sich irgendeine Geschichte auszudenken, um dem Kind die Todesangst zu ersparen, wenn man ihm schon nicht die nahende Katastrophe ersparen kann.

Inwiefern der Film tatsächlich auf einer wahren Begebenheit basiert, weiß ich nicht genau. Allerdings dürfte es solche Geschehnisse tatsächlich auch in der Realität öfters gegeben haben. Ich denke, viele Eltern würden so reagieren. Wobei es natürlich auch viel Selbstkontrolle dafür benötigt, denn man kann einem Kind wohl kaum glaubhaft Mut machen, wenn man selbst völlig verängstigt ist, was in dieser Situation aber auch völlig normal wäre. Es gehört schon eine Menge Kraft dazu, das zu schaffen. Wobei ich schon denke, dass viele Eltern es schaffen, ihrem Kind zuliebe eine solche Kraft aufzubringen.

Von einem ähnlichen Geschehnis habe ich übrigens vor etwa einem Jahr mal gelesen, und dieser Bericht hat mich wirklich sehr mitgenommen. Es geht um Janusz Korczak, einen polnischen Arzt und Pädagogen, der im Warschauer Ghetto ein Waisenhaus leitete. Als 200 Kinder aus dem Waisenhaus zum Vernichtungslager in Treblinka deportiert werden sollten, hat er ihnen erzählt, sie würden eine Reise aufs Land machen, und ist freiwillig mitgekommen. Den gesamten Transport über hat ihnen von der Reise erzählt und sie beruhigt. Damit hat er sein eigenes Leben geopfert, um die Kinder zu beruhigen, denn wenn er nicht freiwillig mitgefahren wäre, hätte er möglicherweise im Ghetto weiterhin überleben oder möglicherweise auch noch fliehen können. So aber wurden sie vermutlich alle zusammen bei Ankunft im Lager ermordet.

Jedenfalls gibt es keine Dokumente darüber, dass Janusz Korczak nach der Deportation weiter überlebt hätte. Wer mehr wissen möchte, kann beispielsweise hier nachlesen: Artikel über Janusz Korczak auf Wikipedia.de. Es ist eine sehr traurige und grausame Geschichte, aber andererseits auch sehr berührend, wie ein Erwachsener "seinen" Kindern zuliebe eine schöne Geschichte erzählt, um ihnen angesichts einer nahenden Tragödie die Angst zu nehmen.

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» Wawa666 » Beiträge: 7277 » Talkpoints: 23,61 » Auszeichnung für 7000 Beiträge


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