Immer mehr Antidepressiva werden verschrieben

vom 30.08.2010, 17:02 Uhr

Mir ist in der letzten Zeit aufgefallen das immer mehr Menschen das normale Leben ohne Antidepressiva kaum noch schaffen. Hier sind aber alle Altersgruppen dabei, also angefangen von einem 14-jährigen Mädel bis zum Großvater. Bei einigen habe ich das Leben vorher mitbekommen und das danach und ich muss sagen das es wirklich ein großer Unterschied ist, auch wenn es mich schreckt das eigentlich so viele Leute diese Tabletten brauchen um mit dem normalen Leben zurecht zu kommen.

Ein Beispiel ist ein Bekannter der alles auf einmal machte. Arbeiten, Studium, Haus bauen und seine Familie. Er wirkte wie wenn er das alles ohne Probleme schafft. Hat er auch, doch als das Haus fertig war und das Studium abgeschlossen war kam der große Zusammenbruch. Seit einem Aufenthalt in der Landesnervenklinik und den Tabletten ist sein Leben wieder in Ordnung, doch er wird sie sein Leben lang nehmen müssen. Ein weiterer Fall ist eine Bekannte die seit dem 14. Lebensjahr bereits diese Tabletten schluckt und auch schon mehrere Aufenthalte in der Klinik hatte. Für sie heißt es auch ein Leben lang Tabletten schlucken. Und solche Beispiele gibt es viele. Sicher sagen es nicht viele Leute dass sie diese Tabletten nehmen, aber viele machen es doch. Ich bin froh dass ich sie nicht brauche, aber für viele ist es eine lebenslängliche Therapie.

Fällt es mir im Moment nur so sehr auf oder werden diese Tabletten jetzt einfach viel öfter verschrieben als früher. Oder sind die Leute anders geworden. Es ist erschreckend wie viele aus meinem Bekanntenkreis solche Medikamente benötigen und vermutlich weiß ich es gar nicht von allen. Wie seht ihr das, werden sie einfach zu oft verschrieben oder werden sie wirklich dringend benötigt?

» wiesel » Beiträge: 1303 » Talkpoints: 0,26 » Auszeichnung für 1000 Beiträge



Ich glaube, das es eher daran liegt das die Zeit in der Depressionen und andere psychischen Erkrankungen ein Tabuthema war und gesellschaftlich auf enorme Ablehnung und Gegenwehr stieß immer mehr nach hinten rückt. Was ich damit sagen will ist, dass psychische Erkrankungen, im Gegensatz zu früher, anerkannt, ernst genommen, behandelt und finanziell übernommen werden.

Die Erkrankungen an sich gibt es sicher schon immer, wurden aber mit unmenschlichen Methoden behandelt. Man kümmerte sich wenig um die Belange der Patienten sondern versuchten sie mit starken, oftmals falschen Medikamenten ruhig zu stellen. Sie wurden weggesperrt und als geisteskrank erklärt. Eine Aussicht auf Entlassung solcher Einrichtungen waren nur schwer bis gar nicht vorgesehen um die Gesellschaft nicht zu "vergiften" Auch die meist unbegründete Behandlung von Elektroschocks dienten zur "Therapie" eines Patienten. Die meist gefolgte lebenslange Isolation, ja man könnte schon Einzelhaft sagen, aus dem gesellschaftlichen Leben trug dazu bei das keine Besserung zu erwarten ist und man somit den Aufenthalt begründen konnte.Mit diesem Wissen war sicher jeder Betroffene bemüht seine psychischen Problematiken für sich zu behalten.

Heute steht man den Dingen anders, offener gegenüber. man bekennt sich zu seinen Problemen, zumindest viele, und daher erscheint es vielleicht so, dass die Medikamente jetzt häufiger verschrieben werden als früher. Wobei ich denke, dass mit einer kurzfristigen Behandlung mit Medikamenten und einer guten Begleittherapie, die Meisten Menschen auf ein dauerhaftes Leben mit Medikamenten verzichten können.

» FreeRiderOff » Beiträge: » Talkpoints: Gesperrt »


Ich denke das fällt einem nur vermehrt auf, wenn man im näheren Umfeld jemand kennt, der Antidepressiva nimmt oder wenn man selbst betroffen ist. Dann nimmt das Ganze einfach anders wahr. Und es ist halt immer noch ein Tabuthema. Du schreibst ja selbst, dass du dir nicht sicher bist, ob nicht mehr in deinem Bekanntenkreis Antidepressiva nehmen.

Und heute sehen auch die Behandlungsmöglichkeiten einfach anders aus. Früher waren die meisten Antidepressiva noch nicht so erforscht wie jetzt. Und es war oftmals klar, die machen abhängig. Da hat es sich manch einer überlegt, ob man die Medikamente halt nimmt. Heute sehen die Möglichkeiten ganz anders aus. Die Medikamente sind wesentlich besser erforscht, es gibt eine größere Auswahl, die meisten Antidepressiva machen nicht mehr abhängig und sie sind gut verträglich. Und sie wirken oftmals heute schneller als früher.

Oftmals müssen Antidepressiva auch nicht mehr ein Leben lang genommen werden. Das kommt aber auch auf die Art der Depression und eventuelle Nebenerkrankungen an. Meistens bekommt man die Mittel halt während einer Krise oder einem Tiefpunkt und steigt dann meistens auch in irgendeine andere Form von Behandlung ein und kann die Antidepressiva meistens wieder absetzen, wenn die Situation wesentlich besser ist UND sich gefestigt und dauerhaft stabilisiert hat.

@nadpat
Man kann durchaus auch Medikamente nehmen, wenn man körperlich nicht krank ist. Auch eine Depression, die sich ja an sich nicht körperlich zeigt, kann körperliche Anzeichen entwickeln.

Und die meisten Antidepressiva machen heute auch nicht mehr total abhängig. In der Regel sind sie gut verträglich und lassen sich auch gut wieder absetzen. Wenn man halt seelisch stabil ist und die Medikamente langsam aus schleicht. Ein promptes Absetzen kann natürlich zu Abhängigkeitserscheinungen führen.

» LittleSister » Beiträge: 10426 » Talkpoints: -11,85 » Auszeichnung für 10000 Beiträge



Zum einen wird dieses Thema heute nicht mehr tabuisiert. Die Leute reden über ihre Probleme, zuerst mit dem Arzt, der dann die Mediaktion vornimmt und dann reden die Betroffenen heutzutage mit ihren Angehörigen und Freunden darüber. Früher wurde über so etwas nicht gesprochen, wenn jemand also therapiert wurde, hat er es (vielleicht aus Scham) bestimmt nicht jedem auf die Nase gebunden.

Außerdem ist der gesellschaftliche Druck heute größer, man denke nur an die hohen Arbeitslosenzahlen, da wird einem als Student oder Auszubildender schon ganz schön bange. Es entsteht ein hoher Druck sich aus der Masse hervorzutun, was, wie bei deinem Bekannten dazu führt, dass man sehr viele Dinge gleichzeitig macht und man eigentlich nie Zeit hat sich zu entspannen. Das kann man eine Zeit lang gut durchhalten, aber spätestens wenn der Druck nachlässt (zum Beispiel das Haus oder das Studium fertig ist), bricht man zusammen. Das habe ich schon oft bei anderen so erlebt. Im kleinen Maßstab entspricht das dem Phänomen, das man meistens nur am Wochenende krank ist.

Daneben spielt auch die Weiterentwicklung der Psychologie als Wissenschaft, sowie die Errungenschaften der modernen Medizin eine Rolle. Ich denke mal, dass eine Diagnose und Medikation heute sehr viel differenzierter möglich ist als noch vor 20 Jahren.

Bevor man den Schritt wagt, sollte man aber auf jeden Fall zwei Ärzte konsultieren, um eine Fehldiagnose auszuschließen. Vielleicht finden sich ja im Einzelfall andere Möglichkeiten den Menschen zu helfen.

» Foxxy.Cleopatra » Beiträge: 55 » Talkpoints: 0,36 »



Bei mir war es auch ähnlich. Ich hatte so etwas wie einen kleinen Zusammenbruch der aber nicht gleich zu einer Einweisung in eine Nervenklinik führte, ich sollte selbst entscheiden ob ich eine Therapie mache. Zuerst ging ich zu einer Ärztin die sich auf solche Fälle spezialisiert hat. Nachdem ich also teilweise unter Tränen erklärt hatte wie meine Lebenssituation aussieht und wie diese Depressionen meiner Meinung nach zustande gekommen sind wurde mir sofort ein Rezept ausgestellt. Dazu gab es eine kurze Erklärung warum diese Tabletten so wichtig sind und nach ca. 5-6 Minuten war ich also aus der Praxis wieder raus. Ich sollte also ohne eine eine für mich logische Erklärung drei mal am Tag Tabletten nehmen. Irgendwie kam ich mir auch total Abgefertigt vor - hier das Rezept und nun der nächste bitte. (Vielleicht habe ich auch einfach bloß einen schlechten Arzt erwischt, aber so etwas prägt und ich würde dort nie wieder hin gehen.) Ich war dazu nicht bereit und habe nach einer anderen Möglichkeit gesucht. Ich war zwar im Kopf "krank", aber ich war meiner Meinung nach körperlich nicht krank und habe deswegen die Tabletten nicht genommen. Parallel habe ich mich nach einer Therapie umgesehen. Ich habe eine nette Therapeutin gefunden zu der ich Vertrauen hatte. Sie hat sich viel Zeit für mich genommen. In regelmäßigen Abständen bin ich zu Sitzungen gegangen und habe gelernt wie ich bestimmte Situationen meistern kann.

Für mich war es die absolut richtige Entscheidung auf diese Tabletten zu verzichten und ich würde jedem anderen raten es vorher noch auf anderem Weg zu versuchen. Die Tabletten machen einen total abhängig wie ich auch in unseren Bekanntenkreis erleben musste.

» nadpat » Beiträge: 1077 » Talkpoints: 2,22 » Auszeichnung für 1000 Beiträge


Ähnliche Themen

Weitere interessante Themen

^