Sollte es eine Anzeigepflicht bei Kindesmissbrauch geben?

vom 14.04.2010, 01:04 Uhr

In Deutschland soll es bisher keine Anzeigepflicht für Kindesmissbrauch geben. In wie weit das stimmt, bin ich ehrlich gesagt überfragt und hoffe da auf eine Antwort unserer Rechtsexperten.

Ich weiss aus amerikanischen Serien (im speziellen Emergency Room - welche ja schon nah an der Realität gedreht wurde) das dort im Krankenhaus die Polizei informiert wird, wenn ein Fall von Kindesmissbrauch oder Kindesmisshandlung eingeliefert wird. Auch hier weiss ich nicht, in wie weit das den Tatsachen und dem dort gültigem Recht entspricht. Für mich war diese Handlung an sich bisher "normal" und ich hielt sie für ein Standardvorgehen.

Klar ist es schwer immer die Situation richtig einzuschätzen. Bestes Beispiel sind wohl die Väter, denen schon beim Baden mit ihren kleinen Töchtern unzüchtiges Verhalten vorgeworfen wird. Auf der anderen Seite stehen aber auch die Missbrauchsfälle in Internaten, Schulen und so weiter. Oftmals haben ja Menschen aus dem Umfeld ( zum Beispiel Vertrauenslehrer) von den Vorfällen gewusst und zum Teil auch gar nicht gehandelt.

Wäre es in den Fällen nicht sinnvoll gewesen, sie hätten handeln müssen? Auf der anderen Seite, wer ist an sich "berechtigt" solche Vorfälle zur Anzeige zu bringen? Mal von den Opfern abgesehen. Ich denke Kindern ist nicht wirklich bewusst, was geschieht und wie sie handeln dürfen/ können.

» LittleSister » Beiträge: 10426 » Talkpoints: -11,85 » Auszeichnung für 10000 Beiträge



Soweit mir bekannt ist müssen Ärzte entsprechende Anzeigen machen, wenn sie Verletzungen feststellen, welche keine natürliche Ursache haben. Also jetzt mal nicht nur allein auf Kindesmissbrauch gemünzt. Aber wenn ich mit einer Schussverletzung ins Krankenhaus komme und da auch keine plausible und vorallem nachweisbare Erklärung liefern kann, dann wird die Polizei eingeschaltet.

So ist das meines Wissens nach auch bei Misshandlungspuren, wenn diese eindeutig zugeordnet werden können. Nur wieviele Kinder werden nach einem sexuellen Missbrauch denn beim Arzt vorstellig? Man weiss doch selbst aus Berichten von Betroffenen, das sie meist auch eingeschüchtert wurden. Also werden sie frische Spuren kaum beim nächsten Arzt zeigen.

Genauso da ihnen in vielen Fällen nicht geglaubt wurde. Würdest du damit noch zu jemand anderen gehen, wenn dein vermeintlicher Vertrauenslehrer dir schon nicht geglaubt hat? Es ist also nicht wirklich einfach das solche Fälle aussenstehenden bekannt werden.

» Punktedieb » Beiträge: 17970 » Talkpoints: 16,03 » Auszeichnung für 17000 Beiträge


Punktedieb hat geschrieben:So ist das meines Wissens nach auch bei Misshandlungspuren, wenn diese eindeutig zugeordnet werden können. Nur wieviele Kinder werden nach einem sexuellen Missbrauch denn beim Arzt vorstellig? Man weiss doch selbst aus Berichten von Betroffenen, das sie meist auch eingeschüchtert wurden. Also werden sie frische Spuren kaum beim nächsten Arzt zeigen.

Das ist sicher richtig. Aber im Falle von sexuellem Missbrauch wird das ja auch zuweilen auf anderem Wege festgestellt. Das Kind wird wegen einer ganz anderen Sache zum Artz gebracht und dieser stellt durch einen dummen Zufall Symptome einer Geschlechtskrankheit fest. Die kann sich das Kind ja eigentlich nur auf einem Wege eingefangen haben. Die Frage wäre dann also, ob er in einem solchen Falle verpflichtet wäre, dies den Behörden mitzuteilen. Ich glaube aber schon, dass das auch hier so ist.

Und manche Eltern gehen auch mit frischen Blessuren zum Arzt. Vielleicht nicht die, die ihre Kinder gezielt und aus sadistischer Neigung heraus misshandeln, aber solche, die ihre Wut nicht unter Kontrolle haben, überkommt häufig direkt im Anschluss die Reue. Sie fahren dann ins Krankenhaus, mit den dümmsten Geschichten, woher die Blutergüsse und Knochenbrüche herrühren und glauben oder hoffen, dass sie damit durchkommen. Außerdem kommt dann auch oft die Angst hoch, wie ernsthaft man das Kind womöglich verletzt haben könnte. Auch so etwas muss untersucht werden, denn es ist wohl mehr als fraglich, ob jemand, der sich so wenig unter Kontrolle hat, dass er sein Kind krankenhausreif prügelt, egal was das Vergehen war, zur Erziehung seiner Kinder geeignet ist.

Mit den Sadisten, die ihre Kinder aus Lust quälen ist es sicherlich anders, die werden kaum losgehen und es herumerzählen. Aber auch da haben Nachbarn, Lehrer und Ärzte die Pflicht im Verdachtsfall Anzeige zu erstatten, damit der Sache auf den Grund gegangen werden kann. Das Problem sind aber vermutlich nicht die fehlenden Anzeigen, sondern die fehlende Personaldecke der Behörden, um alle Fälle zu überprüfen. Es gibt sicherlich auch dort faule Mitarbeiter, denen alles egal ist, aber die meisten sind mit der Flut ihrer zu betreuenden Personen einfach überfordert. Nicht umsonst sterben immer wieder Kinder, obwohl Nachbarn und Verwandte Meldung gemacht hatten und das zum Teil sogar mehrfach.

» Sorcya » Beiträge: 2904 » Talkpoints: 0,01 » Auszeichnung für 2000 Beiträge



Ich finde auf jeden Fall, dass Missbrauch angezeigt werden muss. Ich finde es total unverantwortlich, dass bei Verdacht nicht gehandelt wird. Man muss niemanden direkt beschuldigen oder Schuldige suchen, das wäre dann sowieso Aufgabe der Polizei.

Die Frage ist immer, ob die Polizei in dieser Hinsicht auch einen Schuldigen finden kann. Oft hört man von Mitarbeitermangel und umso weniger Leute im Einsatz sind, umso weniger kann man dann Aufklärungsarbeit betreiben und das Umfeld ausforschen. Es wird leider oft genug auch Anzeige erstattet und trotzdem kann nichts genaueres gefunden werden und das traurige Spiel nimmt weiter seinen Lauf.

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» misses_jessica » Beiträge: 963 » Talkpoints: -4,91 » Auszeichnung für 500 Beiträge



Soweit ich weiß, ist es die Pflicht eines Arztes seinen Verdacht der Polizei oder dem Jugendamt zu melden. Denn so werden ja auch oft Kindesmisshandlungsfälle aufgedeckt. Wenn solche Fälle ins Krankenhaus kommen, werden die Jugendämter sofort benachrichtigt und diese gehen dem Verdacht dann nach.

Sogar der Kinderarzt muss nur einen Verdacht haben und die Fälle meines Wissens anzeigen. Sobald er die Vermutung hat, dass irgendwelche Wunden oder Plessuren nicht auf natürlichem Wege entstanden sind oder die Kinder anderweitige Auffälligkeiten haben ist ein Arzt verpflichtet die Behörden einzuschalten.

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» Diamante » Beiträge: 41749 » Talkpoints: -4,74 » Auszeichnung für 41000 Beiträge


@misses_jessica
Keinen beschuldigen, aber trotzdem anzeigen? Wie soll das denn gehen wenn es durch den Arzt passieren muss? Und das hier oft Anzeige erstattet und nichts gefunden werden kann ist genauso Käse. Ich steiger mich da jetzt lieber nicht rein, ist einfach nur Stuss den Du hier ablässt.

LittleSister hat geschrieben:In Deutschland soll es bisher keine Anzeigepflicht für Kindesmissbrauch geben.

Richtig, alle anderen Aussagen hier im Thread sind falsch und ich frage mich, wie man da immer drauf kommt! Es wurde in den letzten 10 Jahren mehr als einmal der Vorstoß unternommen, eine solche Anzeigepflicht einzuführen und jeweils mit unterschiedlichen Begründungen abgelehnt - mal halt wegen des Kindeswohls, der Erziehungshoheit der Eltern, Belastung der Ärzte und, und, und.

An sich waren die Gründe aus denen man das abgelehnt hat natürlich schon irgendwo schlüssig, auf der anderen Seite sollte ein Arzt natürlich die Möglichkeit haben bei einem konkreten Verdacht auf ein Verbrechen hier handeln zu dürfen und nicht durch seine Schweigepflicht in seinem gewissenhaftem Handeln eingeschränkt zu werden.

In den USA sieht man im Grunde das Pro und Contra dieser Regelungen:
- Kinder werden nach Misshandlungen nicht zum Arzt gebracht aus Angst vor einer Anzeige
- Eltern bringen aus Angst vor einer Anzeige ein Kind nicht zum Arzt bei leichten Fällen von Misshandlung (Ohrfeige) aus Angst vor überzogenen Maßnahmen des Jugendamtes (Kindesentzug)
- Es kommt auch zu vielen Fehlanzeigen, da man lieber einmal zuviel statt zuwenig anzeigt und oft überzogenen Reaktionen des Jugendamtes sowie zu einer sozialen Stigmatisierung ohne öffentliche Klarstellung im Nachhinein (letzteres wäre in Deutschland jedoch weniger zu befürchten, da kein common law System)
- und natürlich können so auch Kinder früh aus Elternhäusern herausgenommen werden

Unter´m Strich liegt jedoch die Aufklärungsquote kaum höher als in Deutschland und auch in den USA überwiegt der familiäre Missbrauch. Dafür gibt es wesentlich mehr Fälle, wo Eltern auf Verdacht das Kind nach einer Anzeige für 3 Monate und mehr entzogen wurde ohne Möglichkeit dagegen vorzugehen und die Folgen hier, vor allem für die Kinder, oft verheerend waren. Denn die staatlichen Jugendheime sind einfach unter aller Sau - dazu kommen nicht wenige Skandale, dass Kinder erst in den Heimen missbraucht wurden (statt wie angenommen von ihren Eltern) oder dort zu medizinischen Versuchskaninchen degradiert wurden. Außerdem betrifft es vor allem die Unterschicht, da die Mittel- und Oberschicht sich gegen solche Maßnahmen besser wehren kann.

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» Subbotnik » Beiträge: 9308 » Talkpoints: -7,05 » Auszeichnung für 9000 Beiträge


Anzeigen auf Verdacht in solchen Fällen sind leider nicht ganz so folgenlos, wenn sich der Verdacht eben wirklich als falsch herausstellt. Denn bei solchen Verdächtigungen, ist eile geboten. Normalerweise wird der Verdächtige recht schnell in eine Lage versetzt, in der er das Opfer nicht mehr beeinflussen oder einschüchtern kann. Das bedeutet normalerweise Untersuchungshaft. Erst wenn sich der Verdacht nicht weiter erhärtet, bzw. sich die Gefahr als gering erweist, dass hier das Opfer durch den Täter beeinflusst wird, kann der Verdächtige wieder auf freien Fuß.

Handelt es sich um einen Familienangehörigen, dann gibt es auch die Möglichkeit, das Kind zunächst "in Sicherheit" zu bringen. Und eben aus der Familie zu nehmen. Das kann gut sein, wenn sich der Verdacht als wahr erweist. Kann aber auch katastrophal sein, wenn der Verdacht falsch war.

Beide Varianten sind aber fragwürdig und Erklärungen wenig hilfreich, wenn eben anschließend alles als Unwahr erwiesen wird. Jetzt nämlich im Kindergarten oder der Schule die kurzzeitige Heimunterbringung zu erklären wäre schwer. Ebenso den Kollegen seinen Haftgrund darzulegen, kann sich negativ auf die Karriere auswirken. Und ob nun der Anzeiger in verleumderischer Absicht handelte oder nicht, ist schwer bis gar nicht nachzuweisen. Der könnte sich ja immer auf diese Pflicht zur Anzeige berufen.

Zusätzlich zu diesem Aspekt hat Subbotnik ja die Beispiele bzw. Folgen genannt, die dort zu beobachten sind, wo eine solche Pflicht vorhanden ist. Ich kann daraus jedenfalls nicht herauslesen, dass es sich hinsichtlich des Schutzes von Opfern besonders bewährt hat.

» derpunkt » Beiträge: 9898 » Talkpoints: 88,55 » Auszeichnung für 9000 Beiträge



derpunkt hat geschrieben:Normalerweise wird der Verdächtige recht schnell in eine Lage versetzt, in der er das Opfer nicht mehr beeinflussen oder einschüchtern kann. Das bedeutet normalerweise Untersuchungshaft. Erst wenn sich der Verdacht nicht weiter erhärtet, bzw. sich die Gefahr als gering erweist, dass hier das Opfer durch den Täter beeinflusst wird, kann der Verdächtige wieder auf freien Fuß.

So weit die Theorie, in der Praxis sieht das leider gar nicht mal so selten ganz anders aus. Da wird dann doch häufiger gewartet und auch wenn ein Kind aus der Familie genommen wird, muss das nicht immer zum positiven sein, da die Aufnahme eines Pflegekindes ja auch finanziell lohnenswert ist.

Eine Anzeigepficht gibt es zwar wirklich nicht, dafür soll aber die Aufmerksamkeit künftig stärker auf solche Verdachtsfälle gelenkt werden. Dazu gibt es (zumindest in Sachsen-Anhalt) in jeder Einrichtung in der Kinder betreut werden einen Kinderschutzbeauftragten, der Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen eben schnell Lösungen finden soll, wenn es einen entsprechenden Verdacht gibt.

Ein Verdacht gleich zur Anzeige zu bringen hat sicher auch Vorteile für eventuell gefährdete Kinder. Allerdings haben in der Einrichtung, in der mein Kind betreut wird, schon mal Erzieherinnen einen entsprechenden Verdacht gehabt, der aber erst mal mit den Eltern besprochen und so ganz schnell ausgeräumt werden konnte, weil es eben zu 99 Prozent einfach ein Mißgeschick war, dass Kind so unglücklich stürzte. Natürlich kann so etwas auch eine Ausrede sein. Diesen Fall gab es auch und da kam dann das Jugendamt ins Spiel, dem sich die Familie durch einen Umzug entzog.

Daher sehe ich eine solche Pflicht zur Anzeige eher zwiegespalten. Denn einerseits ist es sicher richtig, dass Kinder geschützt werden. Allerdings ist die Frage, wie sieht es dann mit dem Vertrauensverhältnis aus und wird dann nicht mehr vertuscht. Auch wenn das in den USA ja nicht der Fall ist, ist doch fraglich wie das in Deutschland wäre.

» JotJot » Beiträge: 14058 » Talkpoints: 8,38 » Auszeichnung für 14000 Beiträge


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